Kaspar Hauser, Hegel und der Westen

Ein Vortrag von Terry Boardman : Kaspar Hauser Festspiele, Ansbach (DE) 7 Aug. 2016

Liebe Anwesende, ich bin sehr froh, hier bei den Festspielen wieder zu sein, und ich danke Herrn Eckart Boehmer herzlich für die Einladung. Ich muss jedoch, wie schon bei früheren Gelegenheiten, mit einer Bitte um Verzeihung beginnen, indem ich meinen Vortrag leider vorlesen muß, weil meine Fähigkeit, in der deutschen Grammatik nicht wirklich gut genug ist für mich so einen Vortrag ohne Noten zu geben. 2004 kam ich zum ersten mal zu diesen Festspielen. Ich kam mit dem Zug aus Prag an. Als ich ankam, war es bereits dunkel. Alles schien geschlossen, und ich hatte keine Unterkunft organisiert. Ich lief vom Bahnhof zum Festspielort, dem Karlsplatz, spät an einem Sonntagabend. Ich befand mich ganz allein auf diesem Platz. Dann kam ein Mann auf mich zu und fragte, ob ich Hilfe benötigte, da ich etwas verloren dastand. Als ich ihm erklärte warum ich nach Ansbach gekommen war, geleitete er mich sofort zu meinem Zielort und stellte mich dem Intendanten der Festspiele, dem Herrn Eckart Boehmer, vor, mit dem er bekannt war. Herr Boehmer bat daraufhin einen Freund, mich für die Nacht bei sich unterzubringen, wo ich schliesslich einige Tage blieb. Seither bin ich mehrmals bei den Festspielen gewesen. Es stellte sich heraus, daß der Herr, der  mich so freundlicherweise zu Herrn Boehmer geleitet hatte, selbst ein grosses Interesse an Kaspar Hauser hatte und dessen Geschichte viele Jahre lang studiert hatte. Er hiess Wilhelm Floride. Er ist dieses Jahr in der Osterwoche in Wien verstorben, und ich möchte ihm diesen Vortrag widmen.

Wenig bekannt ist vielleicht die Tatsache, dass etwa 20 Jahre bevor Kaspar Hauser in die Stadt Nürnberg kam, wo er vom Bürgermeister als „Kind Europas“  ausgerufen wurde, ein noch berühmterer Mann – berühmt im ganzen Deutschland im Jahre 1828 zumindest – in Nürnberg angekommen war, auch er, wie Kaspar Hauser, ein Kind das im deutschen Südwestens geboren worden war. Dies war der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. 1770 in Stuttgart geboren, hatte er in Tübingen studiert und hatte in Bern, Frankfurt, Jena und Bamberg gelebt und gelehrt, bevor er 1808 nach Nürnberg zog. Hegel wurde dort Rektor des königlichen Gymnasiums. In Vorträgen im Juni 1908 in Nürnberg hat Rudolf Steiner Bezug genommen auf Hegels Ankunft in Nürnberg genau hundert Jahre früher. Hegel, sagte Steiner, wird nicht verstanden, wird aber „… für die Zukunft des menschlichen Geisteslebens, wenn er einst verstanden werden wird, sehr viel bedeuten  … [aber es] mag (…) einige Zeit dauern, bis die Menschen ihn wieder begreifen werden.“ (17.6.1908, GA 104). Unter Hegels Schülern im königlichen Gymnasium war der Mann, der später als Kaspar Hausers Lehrer berühmt werden sollte, Georg Friedrich Daumer (1800-1875), und in Nürnberg traf und heiratete Hegel die Schwester des Christoph Carl Gottlieb, Freiherr von Tucher, der später Kaspar Hausers Vormund werden würde. Tucher war der einzige  Mann im Kreis um Kaspar Hauser in Nürnberg der den Lord Stanhope durchschaute. Leider aber konnte er letztendlich Kaspar Hauser gegen Stanhope nicht schützen. Stanhopes Verführung war zu stark. In wikipedia können wir lesen daß „Als eine der Familien, die bereits seit 1332 berechtigt war Mitglieder in den ‚Rat der Stadt Nürnberg‘ zu schicken, hatten die Tucher einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Geschicke der Stadt.“ Wegen der Eheverbindungen zwischen den Familien Tucher und Hegel waren Hegel und seine Familie mit der Kaspar Hauser-Affäre gut vertraut – Hegels Schwiegermutter, Susanne von Tucher, schrieb 1829 an ihre Tochter Marie, Hegels Frau: „Kaspar dankt Dir für Deine Anteilnahme, von der ich ihm berichtet habe.“  (Tucher nach  Beyer,  1966, S.101).

In Tübingen im deutschen Südwesten studierte Hegel als junger Mann im Alter von 18-23 auf dem Tübinger Stift, einem theologischen Seminar, wo seine besten Freunde der später berühmte Philosoph Schelling und der hoffnungsvolle Dichter Hölderlin auch Studenten waren. Die drei Freunde waren unzertrennlich. Ebenfalls in Tübingen war 200 Jahre vorher der Mittelpunkt des rosenkreuzerischen Kreises um Johann Valentin Andreae und Tobias Hess – ein anderer engen Freundeskreis. Während Hegel in Nürnberg lebte schrieb er neben anderem den Hauptteil seiner Wissenschaft der Logik. Steiner sah in der Wissenschaft der Logik etwas epochemachendes, etwas, das er für essentiell für jede ernsthafte Geisteswissenschaft erachtete:

Aber es liegt (…) eine geistige Kraft in diesem Hegeltum, und es liegt in ihm etwas, das aufgenommen werden muß von jeder geistigen Weltanschauung. Denn rachitisch müßte werden jede Geisteswissenschaft, die nicht durchdrungen werden konnte von dem knöchernen Ideensystem, das dem Ahriman, dem verknöchernden Ahriman abgerungen worden ist durch Hegel. [Ahriman war für Steiner der Geist des Materialismus] Man braucht dieses System. Man muß in einer gewissen Weise daran innerlich stark werden. Man braucht diese kühle Besonnenheit, wenn man nicht in nebuloser, warmer Mystik verkommen will beim geistigen Streben. … So bleibt die Hegel’sche Logik tatsächlich etwas Ewiges, so muß sie fortwirken. Sie muß immer wieder gesucht werden. Man kann ohne sie nicht auskommen. (1)

Steiner fühlt, dass Hegel, zu einer Zeit, als der materialistische Geist beständig seinen Griff auf die europäische Kultur fester schloss, für die Menschheit einen Sieg über diesen materialistischen Geist errungen hatte:


Wer Hegel versteht, wie er seine «Logik» ausarbeitet, der sieht, wie die Menschheit in dieser Zeit, da Hegel seine «Logik» ausarbeitet -im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts -, beginnt zu verkalken, beginnt materialistisch zu werden, dicht zu werden, in die Materie verstrickt zu werden. (…) Und es erscheint einem wie im Bilde diese Menschheit, im Materiellen versinkend, Hegel wie in der Mitte stehend, mit aller Gewalt sich herausarbeitend und entreißend Ahriman dasjenige, was Ahriman Gutes hat: die abstrakte Logik, die wir brauchen zu unserer innerlichen Befreiung, ohne die wir nicht zum reinen Denken kommen, diese entreißend den Mächten der Schwere, diese entreißend den irdischen Mächten und sie hinstellend in ihrer ganzen kalten Abstraktheit, damit sie nicht in demjenigen Elemente lebe, das das Ahrimanische im Menschen ist, sondern damit sie heraufkomme in das menschliche Denken. (2)

In seinem Buch Vom Menschenrätsel (GA 20), das während des Ersten Weltkriegs (1916) geschrieben und veröffentlicht wurde, hat Steiner  – könnte man sagen – eine der prägnantesten Beschreibungen des Wesens des deutschen  geistigen Strebens gegegen; ich zitiere:

Dieses innerlich Kraftvolle des Gedankenlebens, das sich in sich selbst überwinden will, um in ein Reich sich zu erheben, in dem es nicht mehr selbst, sondern der unendliche Gedanke, die ewige Idee in ihm lebt, ist das Wesentliche in Hegels Suchen. (3)

Der Mißbrauch Hegels im Westen:  Neben diesem zentralen philosophischen Aspekt gab es noch einen weiteren bedeutenden Aspekt zu Hegels Werk, von dem Steiner meinte, dass die Menschen im 20. Jahrhundert ihn verstehen müssten: das war, dass elitäre okkulte Kräfte im Westen, namentlich in der englischsprachigen Welt, die hegelianische Philosophie für ihre eigenen Zwecke benutzten und das vor der Öffentlichkeit verborgen zu halten versuchten. Während die Marxisten immerhin offen darüber waren, dass viele ihrer Ideen auf Hegel beruhten, während sie ihn allerdings umgedreht und seinen Bezug auf den Geist durch ihrem Bezug auf die Materie und die Wirtschaft ersetzt hatten, versuchten die okkulten Kreisen im Westen vor der Öffentlichkeit zu verstecken, dass sie eine verzerrte Hegel’sche Dialektik benutzten, und gegnerische Seiten in Konflikten unterstützten und kontrollierten, um die eigenen Ziele dabei zu verfolgen. Wie Steiner ausführte, (…) wenn man irgendeinen solchen Inhalt, der aus dem Geiste heraus geboren ist, als Geheimbesitz betrachtet, dann gibt er Macht, während wenn er popularisiert wird, er nicht mehr diese Macht gibt. (…) Das ist geradezu ein Weltgesetz, daß dasjenige, was popularisiert einfach Erkenntnis gibt, Macht gibt, wenn es sekretiert [d.h. geheim gehalten] wird.

Hegel stellte seine Dialektik in seinem Buch Wissenschaft der Logik dar, das in zwei Ausgaben veröffentlicht wurde, die erste zweiteilig zwischen 1812 (dem Geburtsjahr Kaspar Hausers) und 1816 (dem Jahr, in dem Kasper im Schloss Pilsach in der Nähe von Nürnberg eingekerkert wurde). Wie bereits erwähnt, schrieb Hegel das Buch in Nürnberg. Die zweite Auflage, deren erster Teil stark überarbeitet und erweitert worden war, wurde in Berlin nach Hegels Tod zwischen 1831 und 1835 herausgegeben. Nur diese zweite Auflage ist ins Englische übersetzt worden. Die erste englische Übersetzung (von Johnston und Struthers) von Wissenschaft der Logik ist erst 1929 erschienen. Obwohl der Hegelianismus nach der Veröffentlichung des Buches The Secret of Hegel [Das Geheimnis Hegels] von James Hutchison Stirling im Jahre 1865 in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen beträchtlichen Einfluss auf die englische idealistische Philosophie ausübte, nahm ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts die Kritik an der Hegelianischen idealistischen Philosophie in englischsprachigen akademischen Kreisen zu, während die deutsch-englischen Spannungen zunahmen und schliesslich zum Ersten Weltkrieg führten. Die bekannteste Kritik übte der Philosoph Bertrand Russell in seinen Werken Logic as The Essence of Philosophy [Logik als das Wesen der Philosophie] (1914) und in A History of Western Philosophy [Eine Geschichte der abendländischen Philosophie] (1945) aus. Bitte beachten Sie diese Daten. – Nach Russells Ansicht ist Hegel verwirrt und unsinnig; Russell zufolge sollte die Philosophie auf streng mathematischer Logik beruhen. In der Nachfolge Russells definierte sich die englische Philosophie als „analytische Philosophie“ im Gegensatz zu dem deutschen und besonders dem Hegelianischen Idealismus und wanderte in das dürre Wüstengebiet der analytischen Philosophie und des logischen Empirismus ab. Der britische liberale Sozialtheoretiker L.T. Hobhouse machte in seinem Buch The Metaphysical Theory of the State (Die metaphysische Theorie des Staates), das 1918 erschien, die von ihm so genannte Hegelsche „gefährliche Lehre“ für den Ersten Weltkrieg verantwortlich.

     Karl Popper, ein jüdisch-britischer Philosoph, griff nach dem zweiten Weltkrieg  den Faden von Hobhouse auf und machte in seinem Buch The Open Society and Its Enemies [Die offene Gesellschaft und ihre Feinde] (1945) Hegel für die Schrecken des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. Bertrand Russell hat Poppers Buch als einen „tödlichen” Angriff auf Hegel“ gelobt. Der jüdisch-amerikanische Philosoph Sidney Hook jedoch beschreibt Poppers Behandlung von Hegel als „reinen Missbrauch“ und „offensichtlich unrichtig“ und bemerkt dass in Hitlers Mein Kampf kein einziger Bezug auf Hegel zu finden sei. Aufs heftigste  kritisiert wurde Popper, der übrigens an der London School of Economics der Lehrer von George Soros war, von einem anderen jüdisch-amerikanischen Philosophen, Walter Kaufmann, in seinem Buch From Shakespeare to Existentialism: Studies in Poetry, Religion, and Philosophy, (Von Shakespeare bis zum Idealismus: Studien über Dichtung, Religion und Philosophie) (in 1959 veröffentlicht). Kaufmann schreibt, daß Poppers Diskussion über Hegel „mehr Missverständnisse von Hegel als irgendeine andere Arbeit enthält“, und dass auch wenn man sich mit Popper darüber einig ist, dass „intellektuelle Wahrhaftigkeit die Grundlage aller unserer Werte ist“ (S.253), sollte man gegen seine Methoden protestieren; denn „obwohl Poppers Hass gegenüber dem Totalitarismus das Buch inspiriert hat und sein Zentralmotiv ist, ähneln seine Methoden bedauerlicherweise denen totalitärer ‚Akademiker‘ – und sie breiten sich auch in der freien Welt aus.“

Jetzt möchte ich mich jedoch auf zwei neuerliche westliche Kritiker Hegels konzentrieren, weil ihre Ideen heute durch das Internet in der englischsprachigen Welt weit verbreitet sind, vor allem in Kreisen jüngerer Gegner und Kritiker der angloamerikanischen Weltordnung, und es ist sehr bedauerlich, daß diese Leute die von diesen beiden Autoren verbreiteten Ansichten über Hegel kritiklos übernommen haben.

Der verstorbene englisch-amerikanische Professor Anthony C. Sutton (1925-2002, zeitweise an der California State University und an der Stanford University, USA) hat der Menschheit mit seinen dreibändigen Büchern Western Technology and Soviet Economic Development, (3 Vols. 1968-73), Wall Street and the Bolshevik Revolution (1974), Wall Street and the Rise of Hitler (1976, Wall Street und der Aufstieg Hitlers) einen großen Dienst erweisen; er beschreibt darin detailliert das sehr weitgehende Ausmaß westlicher Mitwirkung an der Entwicklung der vermeintlichen Feinde, der Sowjetunion und Nazideutschlands. Weil diese Bücher von Sutton beruhen sich auf einer großen, unabweisbaren Masse an Material haben die akademischen Mainstreamhistorikern Suttons Werk kaum zu widerlegen versucht, sondern haben ihm anstatt dessen die kalte Schulter gezeigt: ‚aus dem Auge, aus dem Sinn‘, wie wir auf englisch sagen. In einem anderen Buch, das Sutton 1973 schrieb (National Suicide: Military Aid to the Soviet Union“) (Nationaler Selbtmord: Militärhilfe an die Sowjetunion) schreibt Sutton: „Kurz gesagt: es gibt keine sowjetische Technologie. Fast alles – etwa 90-95% – kam direkt oder indirekt aus den Vereinigten Staaten und seinen Verbündeten. Tatsächlich haben die V.S. und die NATOländer die Sowjetunion geschaffen. Seine industrielle und militärische Kapazität. Diese massive Aufbauarbeit hat 50 Jahre gedauert. Seit der Revolution von 1917. Sie ist durch Handel und den Verkauf von Anlagen, Ausrüstungen und technische Unterstützung ausgeführt worden.“ Sutton beschreibt hier, wie die amerikanischen finanziellen und industriellen Eliten buchstäblich die industrielle Macht des Feindes Amerikas, der USSR, aufgebaut haben. Sie können sich gut vorstellen, meine Damen und Herren, daß Suttons Behauptungen, während der Zeit des Kalten Krieges in den USA, in gewissen Kreisen nicht gern gesehen wurden. Wegen dieser Bücher, wurde Sutton aus seiner Stelle in Stanford verdrängt.

Unglücklicherweise hatte Sutton, der Historiker war, aber kein Philosoph, nur wenig wirkliche Interesse für Hegel und fügte ihm in einem anderen seiner Bücher großen Schaden zu. Sutton betrachtete als seinen Hauptwerk America’s Secret Establishment: An Introduction to the Order of Skull and Bones (Liberty House Press, 1986; dt. etwa: Amerikas geheime Führungselite: Eine Einführung in den Orden Schädel und Knochen). Nach seiner Entlassung aus der Stanford Universität wegen seiner früheren historischen Werke argumentierte Sutton in diesem Buch über Skull & Bones, dass der Hegelianismus die philosophische Verantwortung für sowohl die faschistische als auch die kommunistische Form des statischen Totalitarismus trägt. Sutton glaubte daß für Hegel, „das Individuum kann Freiheit nur im Gehorsam gegenüber dem Staat finden kann“ und daß „für Hegel und Systeme, die auf Hegel basieren, der Staat absolut ist.“ Sutton behauptet daß in dem hegelschen dialektischen Prozess, den er missversteht als einen von hinter den Kulissen von schattenhaftigen Elitenkreise (wie z.B. Skull & Bones) ‚kontrollierten Konflikt‘ und bezeichnet als eine Dreifaltigkeit von „These-Antithese-Synthese“ (eine Dreifaltigkeit die Hegel selbst, in der Wissenschaft der Logik nicht verwendete), führt der Kampf zwischen Links und Rechts in der Politik zu einem anderen politischen System oder Ergebnis, einer Synthese der beiden, das ist weder links noch rechts: man zielt auf ein bestimmtes Ziel – lassen wir uns  es C nennen – und so man einrichtet, in einem unmoralischen Weise, zwei entgegengesetzte Kräfte, A und B, und steuert den Konflikt zwischen A und B so,  daß das Ergebnis C herauskommt. Ich habe hier keine Zeit für eine detaillierte Darstellung der Feinheiten von Hegels Dialektik. Kurz gesagt, ging es bei der hegelsche Dialektik um das Verständnis, wie eine bestimmte Sache -  wir können das A nennen -  immer eine Unvollkommenheit in sich selbst trägt, und diese Unvollkommenheit oder Mangel wird zu einer Negation von A. Es nimmt, sozusagen, eigenes Leben an. Diese zweite Element, oder Negation können wir B nennen, und dann wird die Auseinandersetzung, die Interaktion zwischen der ursprünglichen Sache und die Negation, zwischen A und B, aufgehoben, so dass sich ein drittes Element ergibt – C. Dieses dritte Element, C, bewahrt etwas von der ursprünglichen Element A und auch etwas von der Negation B doch im dritten Element C sind die beide A und B   aufgehoben. Dieses dritte Element C wird dann das neue Element; es wird zum neuen A, und daraus wiederentfaltet sich der Prozess ganz dynamisch weiter. Was Sutton beschreibt mit seinem ‚kontrollierten Konflikt‘ aber ist eine grobe falsche Darstellung von Hegels Dialektik und   damit hat er zu einer Vereinfachung und Entstellung von Hegels Dialektik beigetragen.

Außerdem verbindet er das mit einem grundsätzlichen Konflikt zwischen dem, was er als den im Westen vorherrschenden Respekt für persönliche Freiheit und Individualismus ansieht und dem, was er das Streben der Deutschen nach „universeller Brüderschaft, Zurückweisung des Individualismus und generelle Opposition zum klassischen liberalen westlichen Denken in fast jeder Hinsicht“ nennt. Sutton sieht nicht, dass weil für die anglo-amerikanische Welt  – im Sport, im Wirtschaftsfragen, in der Politik usw. – geht es vor allem um die Durchsetzung des persönlichen Willens, findet es deshalb diese anglo-amerikanische Welt sehr schwer, die organische Inklusivität der hegelschen Dialektik zu begreifen. Genau deshalb können viele Anglo-Amerikaner einen Ansatz, der jenseits dieser Durchsetzung des persönlichen Willens liegt, nicht leicht akzeptieren. Diese anglo-amerikanische kulturelle Tendenz zur Durchsetzung des persönlichen Willens findet man zum Beispiel gespiegelt in der britischen Prinzip der Widersacher oder vielleicht besser gesagt, die Prinzip der Gegnerschaft. Diese Prinzip oder kulturelle Gewohnheit oder Neigung wird im anglo-amerikanischen Rechtssystem und in dem politischen System gespiegelt und auch im absoluten Mehrheitswahlrecht, das gegen Koalitionen und kleinere politische Gruppierungen steht. Die anglo-amerikanische Kultur, die so viel im menschlichen Leben als Wettbewerb ansieht, hat immer dazu tendiert, in den meisten Verhältnissen einen eindeutigen Gewinner zu suchen: und davon stammt die Aufforderung im Westen, oft in der neueren Geschichte gesehen,   zu ‚bedingungslose Kapitulation.‘

Wir sehen hier in der englischsprachigen Welt auf der einen Seite eine kulturelle Tendenz, die Vorrangigkeit des persönlichen Willens der irdischen Persönlichkeit zu behaupten, die grundsätzlich von seiner Umgebung entfremdet ist und sich als Zentrum der eigenen Welt betrachtet, und andererseits, dem hegelianischen Gedanken entsprechend, eine überkulturliche Neigung, d.h. eine Sichtweise, die nicht auf eine Kultur beschränkt ist sondern seine Wurzeln tief in verschiedenen Kulturen der Vergangenheit hat, und die den Menschen als Wohnstätte des Weltengeistes sieht – den Mensch letztendlich als einen Gedanken der Gottheit. Eine dieser Sichtweisen – die hegelianische – ist, könnte man sagen, wie eine abstrakte, intellektualisierte Erinnerung an das geistige Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt; etwas Kosmisches, etwas Allumfassendes. Das andere ist ein mehr leibbezogenes Verständnis nur von diesem irdischen Lebens, ohne irgendeine Besinnung auf andere Daseinsformen. Es ist etwas isoliert, etwas Zum-Insel-Gewordenes. Sutton fügt diesen verschiedenen Perspektiven ein moralistisches Urteil bei und bezeichnet einen dieser beiden Sichtweisen als böse weil er glaubt daß diese Sichtweise die Individualität verneint und zu den nationalsozialistischen Aufmärschen führt, zu den Gulags Stalins und den Massenparaden Kim Jong Ils in Pyongyang, oder dessen Enkel Kim Jong Uns, während die andere Sichtweise, glaubt er, das freie Individuum bestätigt und uns nach Washington und Philadelpia führt. Und zwar, letztendlich ist der Engländer Sutton zu einem amerikanischen Staatsbürger geworden.

In America’s Secret Establishment versucht Sutton zu zeigen, dass die geheim operierenden, elitären Mitglieder von Skull and Bones in der Universität von Yale ‚kulturelle Verräter‘ sind, die im Geheimen und unaufrichtig eine ausländische, ‘deutsche Philosophie’ der Machtpolitik auf westliche Gesellschaften angewandt hätten. Er identifiziert die Hintergrundmachenschaften, die dahin gehen, beide Seiten in einem politischen Konflikt entweder zu unterstützen oder sogar zu kreieren, um dadurch eigene Ziele zu verfolgen mit, unter anderem, dem bayrischen Illuminatenorden (gegründet durch Adam Weishaupt 1776), mit der Trilateralen Kommission (gegründet in den USA von David Rockefeller und Zbigniew Brzezinski 1973) und besonders mit Skull and Bones, gegründet in Yale, Dezember 1832. Interessanterweise war das erste Jahr des Bestehens der Skull and Bones-Vereinigung auch das letzte Lebensjahr Kaspar Hausers. Der Orden wurde im Dezember 1832 gegründet; Kaspar wurde im Dezember 1833 getötet. In der US-Präsidentschaftswahl 2004 waren beide Kandidaten, George W. Bush und John Kerry, Mitglieder dieser kleinen Gesellschaft von Skull & Bones. Nur 15 Mitglieder werden jedes Jahr in diese Gesellschaft neu aufgenommen, also gibt es nur ungefähr 900 lebende Mitglieder (15 x 60) zu einer Zeit. 2004 verweigerten beide Kandidaten jede Auskunft über Skull & Bones. George W. Bushs Großvater war und seine Vater ist ebenfalls Mitglieder. Sutton wiederholt die grundlose Behauptung, dass Skull and Bones, früher auch bekannt als ‚Brüderschaft des Todes‘,„das Kapitel [oder Zweignummer] 322 einer deutschen Geheimgesellschaft“ aus Berlin wäre und dass der amerikanische Gründer von Skull & Bones, William Huntington Russell, „1831-32 in Deutschland war.“ Niemand, Sutton auch nicht, hat jemals irgendein wirkliches Indiz für diese Behauptungen vorgelegt, die nichtsdestotrotz überall im Internet wiederholt werden. Meiner Ansicht nach haben die Gründer von „Skull and Bones“ höchstwahrscheinlich eine Legende über ihre Beziehungen zu einem deutschen Orden (d.h. über die angebliche Mutterloge von Skull and Bones) erfunden, weil damals alles was deutsch war, z.B. die deutsche Romantik, das preussische Erziehungssystem, deutsche Musik, Lieder usw. als Themen unter den jungen Gebildeten des Westens als „modern“, modisch betrachtet wurden.(5) Suttons Behauptungen Hegel gegenüber wurden erweitert und noch weiter korrumpiert durch David Icke, den britischen Verschwörungsschriftsteller und Vortragsredner, der im Internet und im alternativen Vortragsbetrieb sehr populär ist, und der seit 20 Jahren ein dreifaltiges Schema das er „Problem-Reaktion-Lösung“ nennt fälschlicherweise als ‚hegelianische Dialektik‘ präsentiert. Diese Entstellung von Hegels Ideen ist durch das Internet zu einem Mantra bei den Kreisen von Gegnern der Neuen Weltordnung geworden.

Die Vorstellung, dass globale Banker oder multinationale Konzerne gegnerische Seiten in einem Konflikt unterstützen, um ein (drittes) erwünschtes Resultat hervorzubringen, ist jetzt durchaus üblich geworden und zwar ist es zu begrüßen, daß das inzwischen weitherum bekannt ist, weil das tatsächlich ein besonders ruchloser Zug der modernen Geschichte ist, wovon Suttons zwei ,Wall Street‘-Bücher Zeugnis ablegen. Aber man muß es mißbilligen, dass Sutton, Icke und andere das Wort ‚hegelianisch‘ heute zu einem Schimpfwort gemacht haben und dass Hegel jetzt von so vielen Menschen, die ihn nie gelesen haben als philosophische Quelle allen Übels und von Systemen der Sklaverei und der Unfreiheit angesehen wird, – ähnlich wie das Wort ‚manichäisch‘, in einer vergleichbaren Ignoranz, ein abschätziger Ausdruck geworden ist. In seinem Buch and the truth shall set you free…(1995, dt.: und die Wahrheit wird Euch frei machen …) zugibt David Icke daß Hegel „ein ernsthafter Mann gewesen zu sein scheint“ und dass „sein Werk nur der Auslöser für andere gewesen ist, die sein Denken“ in eine materialistische Richtung „fortgeführt und verändert haben, um etwas Finsteres damit zu erschaffen“ (S. 65-66) aber es ist nicht zuletzt Ickes Schuld, daß der Name Hegels in den Gedanken von Millionen von Menschen mit der „Problem-Reaktion-Lösung“ Strategie der Elite der Neuen Weltordnung, also als etwas Böses, assoziiert wird.

Sutton wurde 1925 geboren und starb 2002. Icke wurde 1952 geboren, lebt noch und ist weiterhin aktiv. Die Jugend dieser beiden Engländer wurde durch den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen geprägt. Dies waren die Jahren als den Engländern immer wieder gesagt wurde, durch die medien und im Kino dass ihr Land oder die anglo-amerikanische Kultur im allgemeinen den edlen Sankt Georg darstellt, der den schlimmsten Drachen, den es je in der Weltgeschichte gegeben hatte, bekämpfte. Für Sutton verwandelte sich der Nazi-Drache des Zweiten Weltkrieges in den sowjetischen Drachen des Kalten Krieges. Auf der Suche nach den Ursprüngen der sowjetischen Macht begegnete er den Machenschaften der Wall Street-Finanzier und Industriellen; hinter denen wiederum entdeckte er den Skull and Bones Orden mit seiner  pervertierten Form der Dialektik, für die er dann Hegel verantwortlich machte, da es bereits allgemein bekannt war, dass Karl Marx von Hegel beeinflusst worden war, d.h. vom pervertierten marxistischen Vorstellung der Lehre Hegels. David Icke, der normalerweise nicht so sorgfältig und präzise in seiner Forschung zu sein braucht wie der Historiker Sutton, hat mit den Worten „Nazi“ und „Faschist“ um sich geworfen um autoritäre Personen, die er missbilligte, anzuprangern, und seit 1939 sind diese Worte in der anglo-amerikanischen öffentlichen Meinung gleichbedeutend mit dem allerschlimmsten Übel.

Ideen oder Individuen so zu entstellen, dass sie zu ihrem Gegenteil werden, kann als negative ‚spirituelle Inversion‘ beschrieben werden und als eine Technik, die von Gegenmächten angewandt wird, um positive Impulse zu blockieren oder zu zerstören; man kann einen Impuls frontal angreifen oder man kann ihn ignorieren und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von ihm weglenken (= Ablenkungsmanöver), aber wenn man mit diesen Methoden keinen Erfolg hat, dann kann man sich selbst auch diesen Impuls aufnehmen und das so manipulieren, dass es als das Gegenteil von dem erscheint, was es wirklich ist. Alle diese drei Taktiken sind z.B. in den letzten hundert Jahren gegen das Wesen Kaspar hausers und gegen andere positive Impulse angewandt worden.Ich will nicht behaupten daß Anthony C. Sutton und David Icke Bösewichter sind; im Gegenteil, sie sind tapfere Männer, die in ihrer eigenen einsamen Art für die Wahrheit gekämpft haben und dafür, sie anderen mitzuteilen, andere dafür aufzuwecken, was wirklich passiert. Aber auf ihrem Weg sind sie in Bezug auf Hegel und die Beziehungen zwischen den englisch- und den deutschssprechenden Kulturen schwerwiegenden Irrtümern verfallen, was sie beide dazu geführt hat, aus Hegel fälschlich einen Anwalt der Unfreiheit, der Tyrannei und des Totalitarismus zu machen.

Das Problem hier liegt darin, dass Sutton und Icke den grundlegenden Unterschied zwischen der deutschen und der englischsprachigen Kultur grundsätzlich nicht begreifen. Das gleiche traf auch auf Lord Stanhope zu, trotz seiner von Jugend auf vorhandenen deutschen Sprachgewandheit. Während die Engländer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine empirische Evolutionslehre aufgrund zufälliger natürlicher Ursachen vorantrieben, entwickelten die Deutschen, vor allem von Hegel inspiriert, eine „idealistisch“ Evolutionslehre, die auf einem mächtigen überweltlichen Willen beruhte (dem Weltengeist) . . . und betrachteten alle Geschichte, alle menschlichen Ereignisse als von diesem mächtigen Geist gelenkt. Die Aufgabe von Lehre oder Wissenschaft war daher für Hegel (und die ihm nachfolgenden Hegelianer) nicht nur die Sammlung von Tatsachen, sondern inmitten solcher Tatsachen die besondere Bewegung dieser leitenden Hand zu ergründen. In der heutigen Zeit, in der wir uns immer weiter entfernen von der Katastrophe der deutsch-englischen Beziehungen, die die beiden Weltkriege darstellten, hat man in der englischsprachigen Welt Hegel wiederentdeckt, oder in gewissem Sinne eher zum ersten mal ist er in seiner wahren Bedeutung erkannt worden. So kommt es, zum Beispiel, daß ein so bemerkenswertes Buch wie Hegel and the Hermetic Tradition (Hegel und die hermetische Tradition) von Glenn Alexander Magee 2001 von der Cornell Universität in den USA veröffentlicht werden konnte. Meines Erachtens behandelt dieses Buch mit wahrer Einsicht die Beziehung zwischen Hegel und früheren  deutschen Gedankenströmungen, wie dem Pietismus und besonders den Werken von Jakob Böhme und letzten Endes der ganzen westlichen hermetischen Tradition.

Hegel und Hauser – diese zwei Namen und was sie beduten – stellen meines Erachtens  eine welthistorische Polarität dar. Im 17 Jahrhundert haben die Mitglieder  des rosenkreuzerischen Kreises in Tübingen von zwei Bücher gesprochen und geschrieben: das Buch der Natur und das Buch Gotte. Wir könnten auch sagen: das Buch des Lebens und das Buch des Weltgeschichte, das Buch das die ganze menschliche Weltevolution aus der Gottheit schildert. Wenn man liest in diesen beiden Büchern zusammen, so die Rosenkreuzer, dann kommt man zum Jesu Christi. In der Bibel lesen wir  wie zum Jesu Christi führen zwei Linien: die Linie von Nathan dem Priester und die Linie von Salomon dem König. Diese zwei Linien werden auch als die lukanischen und die salomonischen  Linien gekannt. Wir könnten auch denken daß in einem Sinn, menschlicher Verträter dieser beiden Linien haben ihre Wege  zum neugeborenen Jesuskind gefunden: die Hirten und die drei Könige. Für 19 Jahre im 19. Jahrhundert, d.h. ab 1812 bis 1831, waren zwei große Vertreter dieser zwei Linien hier in Deutschland vorhanden: Hegel und Hauser. Hegel – der Kenner und Erzieher und Erklärer der ganzen Menschheitsgeschichte, der modernste Denker seiner Zeit der in diesen 19 Jahren zum Gipfel eigener Kräften, zum Gipfel der deutschen gedankenwelt aufstieg. Und Hauser – der am niedrigsten Stellein dieser deutschen Kultur da stand – am mindestens in Mai 1828 als er in Nürnberg erschien – das ungebildete, unschuldige, reine Wesen, das in sich  nicht Gedanken sondern Andacht und unmittelbare  Wahrhaftigkeit hatte. Hegel schaute zurück in die Weltgeschichte und erklärte seinen Mitmenschen  die ganzen Menschheitsevolution. Hauser schaute direktmit seinem offenen Herz in die Phänomene um sich, die natürliche und menschliche Phänomene und erklärte seinen Mitmenschen das was er darin sah, und in diesen Erklärungen haben seine Mitmenschen erfahren das was sie als Menschen verloren hatten.

Hegel: Zurückweisung und Wiederaufleben: In diesen 19 Jahren, Hegel und Hauser: Zeit und Raum. Denn was ist die Zahl 19, esoterisch gesehen? 7 und 12: die Zahlen von Zeit und Raum, Planeten und Tierkreis. Ab Hausers Geburt bis Hegels Tod: 19 Jahre. 1831 ist Hegel gestorben, und 1833, Hauser. Dazwischen, 1832 ist Goethe gestorben. Der Schwellenübergang dieser drei großen Geister Hegel, Goethe, und Hauser in den Jahren 1831, 32, und 33 scheint mir vielsagend. Nach diesen drei Jahren und diesen drei Todesfälle, sank die deutsche Kultur allmählich in den Abgrund des Materialismus. Hegel, der Kämpfer für ein wahres Gedankenleben, der 42 Jahre vor Kaspar Hauser geboren war, starb am 14. November in Berlin während  einer großen sogenannten „asiatischen“ Cholera-Epidemie, in dem selben Jahr in dem Lord Stanhope in Kaspar Hausers Leben eintrat, und am 29. des selben Monats  – zwei Wochen nach Hegels Tod – entfernte Stanhope Kaspar aus der Obhut von Hegels Schwager Baron von Tucher in Nürnberg und brachte ihn weg nach Ansbach, wo er am 10. Dezember in das Haus und unter die tyrannische Herrschaft des Lehrers Meyer gebracht wurde, der von Lord Stanhope zu diesem Zweck eingesetzt worden war. Der Prinz der deutschen Philosophie war just von Deutschland entnommen worden und dann plötzlich wurde der andere Prinz, Kaspar Hauser, von dem Ort Nürnberg weggenommen worin man ihn geschützt hatte.

Die 1820er und 1830er Jahre waren die Jahre von Hegels höchstem Ansehen. Die nachfolgende Zurückweisung und Austreibung von Hegels Idealismus begann 1841, als, in einer schrecklichen Ironie, Ludwig Feuerbach (1804-1872), der Sohn von Kaspar Hausers Beschützer und Verteidiger, dem großen Kriminologen und Richter Anselm von Feuerbach (1775-1833) eine berühmt gewordene Serie von Vorträgen hielt, in denen er Hegel kritisierte. Und dann veröffentlichte Feuerbach sein antichristliches Buch Das Wesen des Christentums. Friedrich Engels kommentierte diesen Schlag Feuerbachs später:

Mit einem Schlag zerstäubte es den Widerspruch, indem es den Materialismus ohne Umschweife wieder auf den Thron erhob. Die Natur existiert unabhängig von aller Philosophie; (…) Der Bann war gebrochen; das »System« war gesprengt und beiseite geworfen, (…) – Man muß die befreiende Wirkung dieses Buchs selbst erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Die Begeisterung war allgemein: Wir waren alle momentan Feuerbachianer. (6)

Die Ereignisse von 1841 öffneten die Schleusentore für die Flutwelle des philosophischen Materialismus. Die Deutschen schauten immer mehr nach England und sie wollten immer mehr das haben und entwickeln was die Engländer hatten und entwickelten: eine materialistisch-geprägte Gesellschaft und ein kommerzielles, industrielles imperialistiches Weltreich mit Kolonien, eine Kriegsmarine und so weiter. Hegel, Goethe und Hauser wurden vergessen. Und nicht nur diese drei sondern die größten Früchte der ganzen inspirierenden Epoche des deutschen Idealismus: Hölderlin, Schelling, Fichte, Novalis, Humboldt und die andere. Nach der unglücklichen Entscheidung Kaspar Hausers in Nürnberg November 1831, eine bessere Zukunft im Westen, in England anzuschauen und davon zu träumen,  – ab 1840, genau das Jahr der Ehe Königin Viktorias von England mit dem Prinz Albert von Saxe-Coburg-Gotha, haben die Deutschen der 19. Jahrhundert einer ähnliche Zukunft angeschaut und ähnliche Träume geträumt. Und weiter ging es im 20. Jahrhundert: 100 Jahre nach dem Tode Kaspar Hausers träumten auch Hitler und seine Nationalsozialisten  noch von englischen Vorbilder – rassische Überlegenheit, elitäre Herrschaft, Kolonialreich mit ‚Herrenmenschen‘ und ,Untermenschen‘, kommerzielle und technische Dominanz, brutale gewissenslose Erziehungssystem usw. Aber die drei Geister – Hegel, Goethe, Hauser – hatten in ihrer verschiedenen Weisen, in ihrer Leben und ihrer Taten   die notwendige Vorbilder in Denken, Fühlen und Wollen schon dargestellt mit den die deutsche Kultur sich verbinden kann um vom Abgrund des Materialismusdunkels heraus wieder aufzusteigen.

Es gibt ein mystisches, sogar ‚asiatisches‘ Element bei Hegel, nämlich, dass er zeigt, daß das, was der Mensch im eigenen Inneren hat, in seinem Denken, der gesamte Kosmos ist. Er zeigt dem europäischen Menschen, dem Menschen des Abendlandes, der sich durch die Vernunft vom Leben entfremdet hat, einen Weg diese Entfremdung durch die Vernunft selbst zu überwinden. (63 Jahre nach Hegels Tod hat Rudolf Steiner dasselbe gemacht als er seinen Hauptwerk Die Philosophie der Freiheit veröffentlicht hat.) Etwas von einer tiefen kosmischen Innenschau, von einem vergangenen mystischen Bewusstsein, das hinter Jakob Boehme, den Hegel verehrte,  zurückführt, hinter die mittelalterlichen Mystiker, hinter die Neoplatoniker und die griechische Philosophen, bis zu einem weit zurückliegenden Asien taucht in Hegel wieder auf in der Form der Bemühung eines europäischen Denkers des frühen 19. Jahrhundert um abstrakte Gedanken. Eines der wenigen persönlichen Besitztümer Rudolf Steiners, das er für viele Jahre bei sich behielt, war eine Büste Hegels und in seiner Autobiographie Mein Lebensgang schrieb er in Kapitel XXVII:


Weil im Hegeltum alles Geistige zum Denken geworden war, stellte sich mir Hegel als die Persönlichkeit dar, die ein allerletztes Aufdämmern alten Geisteslichtes in eine Zeit brachte, in der sich für das Erkennen der Menschheit der Geist in Finsternis hüllt. (7)
In diesem Zusammenhang finde ich es bemerkenswert daß Rudolf Steiner in seinem Buch Vom Menschenrätsel (genau vor 100 Jahre veröffentlicht), in dem er über einigen vergessenen Vertreter des Geistesleben des deutsch-österreichischen Kulturraums schreibt, das Gedicht “Germanenzug” von Robert Hamerling zitiert -  ein Gedicht das die Wanderungen der alten germanischen Völker aus Asien nach Europa beschreibt. Nachdem Steiner den Teil zitiert hat, in dem der junge Held Teut, der mit seinen Völkern im Kaukasus Rast macht, über die Bestimmung seines Volkes sinniert, kommentiert Steiner: „Und Urmutter Asia offenbart Teut seines Volkes Zukunft; sie spricht nicht bloß Lobeshymnen; sie spricht ernst von des Volkes Schatten- und Lichtseiten. Aber sie spricht auch von dem Wesenszug des Volkes, der das Erkenntnisstreben in voller Einheit mit dem Aufblick zum Göttlichen zeigt“:


„Fortleben wird in dir die traumesfrohe
Gotttrunkenheit, die sel’ge Herzenswärme
Des alten asiat’schen Heimatlandes.
Geruhigen Bestandes
Wird dieser heil’ge Strahl, ein Tempelfeuer
Der Menschheit, frei von Rauch, mit reiner Flamme
Fortglühn in deiner Brust und Seelenamme
Dir bleiben und Pilote deinem Steuer!
Du strebst nur, weil Du liebst; dein kühnstes Denken
Wird Andacht sein, die sich in Gott will senken.“ (8)

Diese „Andacht, die sich in Gott will senken“, diese reine Flamme, läßt in einem den Gedanken aufkommen an das, was, ohne das Wort „Gott“ überhaupt zu kennen, das unschuldige Herz Kaspar Hausers den Menschen von Nürnberg am Unschlittplatz (dem Platz der Kerzenmacher, sozusagen) an Pfingsten 1828 brachte, – in einem Zeitalter des immer größer werdenden Materialismusdunkels, das Licht und einen lebenden Beispiel des Geistes im Menschen.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit.

Anmerkungen:
(1) Vortrag vom 27.8.1920, in GA 199 (Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltung), S, 154f u. 151.
(2) Ebenda., S. 151.
(3) Rudolf Steiner, Vom Menschenrätsel (GA 20), S. 49.
(4) Vortrag vom 4.12.1920, in GA 202 (Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen – Die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia), S. 53
(5) Es ist ein interessantes Zusammentreffen, dass das erste Jahr von Skull and Bones (Dezember 1832- Dezember 1833) auch genau das letzte Jahr von Kaspar Hausers Leben war.
(6)(http://www.egs.edu/library/friedrich-engels/articles/ludwig-feuerbach-und-der-ausgang-der-klassischen-deutschen-philosophie/i/)
(7) Rudolf Steiner, Mein Lebensgang (GA 28). Dornach 2000, S. 368.
(8) Rudolf Steiner, Vom Menschenrätsel, a.a.O., S. 189