Sir Edward Grey, liberaler Imperialismus und die Frage nach der britischen Verantwortung für den ersten Weltkrieg: Vom englischen zum amerikanischen Weltreich

Dieser Vortrag hat Terry Boardman  zum ersten Mal bei einem anthroposophischen Tagung in Keene, New York State, in August 2001 presentiert.

Einführung  

Debatte um Vorherrschaft oder Gleichgewicht der Kräfte

Britische Imperative um 1900  

Balfour  

Zwei imperialistische Strömungen 1868 – 1914  

Balfours ‘Angelsächsischer Staatenbund’  

Rosebery  

Sir Edward Grey  

Grey und die Presse  

Grey und Leo Maxses ABC  

Hardinge & Co: Grey im Außenministerium 1905 – 1914  

Grey als Persönlichkeit  

August 1914  

Schlussfolgerung  

ANMERKUNGEN

 

Einführung

Liberaler Imperialismus und liberale Imperialisten – das sind Begriffe, mit denen Historiker gewöhnlich einen Flügel innerhalb der British Liberal Party (der liberalen Partei) bezeichnen, eine Fraktion die von etwa 1890 bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs politisch aktiv war. Diese Fraktion war vor allem inspiriert durch den prominenten aristokratischen Politiker der Liberalen (2)Archibald Primrose, Lord Rosebery. Er wird ausdrücklich von Rudolf Steiner in Vorträgen erwähnt, die er 1916 hielt und die in Englisch unter dem Titel The Karma of Untruthfulness, Vol 1  (Zeitgeschichtliche Betrachtungen, Das Karma der Unwahrhaftigkeit, GA 173) veröffentlicht wurden; auf Steiners Stellungnahme werde ich später zurückkommen. 1905 bestand die liberal-imperialistische Fraktion, damals bekannt als Liberal League (Bund der Liberalen) aus 58 parlamentarischen Abgeordneten, mit 25 weiteren Mitgliedern, die aber bei der General Election (entsprechend: Bundestagswahl) dieses Jahres nicht gewählt worden waren. Die Macht dieses Flügels gründete vor allem auf der Inspiration und den außerordentlich guten Verbindungen des weithin einflussreichen Lord Rosebery, aber auch auf der Tatsache, dass eine Troika liberaler Politiker, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere befanden und seit 20 Jahren befreundet waren, diesen Flügel kompetent führte. Seit 1905 hatte dieses Trio drei der wichtigsten Positionen im Kabinett inne: (3)Herbert Asquith war Prime Minister, Sir Edward Grey Außenminister und Richard Haldane Kriegsminister. Nach dem Krieg kam der Imperialismus in Großbritannien aus der Mode und die Bezeichnungen ‘liberaler Imperialismus’ und ‘liberale Imperialisten’ sind seither weitgehend aus dem modernen politischen Sprachgebrauch verschwunden… das heißt, bis in die späten 1990er Jahre. Seither tauchen sie im politischen Wortschatz wieder auf, werden von Kritikern der Außenpolitik der Regierungen Clinton, Bush, Blair und Brown ebenso gebraucht, wie von den Unterstützern dieser Regierungen. In diesem Vortrag möchte ich Ihnen den liberalen Imperialismus  vor 100 Jahren und den von heute darstellen, und zwar im Zusammenhang damit, wie das Britische Empire durch das Amerikanische Empire ersetzt wurde – ein Prozess, der im Ersten Weltkrieg begann – und ich werden die Verantwortlichkeit des liberalen Imperialisten (4)Sir Edward Grey für das Zustandekommen des Krieges untersuchen. Ich werde darauf hindeuten, dass Grey das Instrument derjenigen war, die hinter ihm standen und für die Katastrophe in erster Linie verantwortlich waren. Mit anderen Worten, ich bin mit dem heute üblichen Konsens unter anglo-amerikanischen Geschichtswissenschaftlern nicht einverstanden, der insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges dahin tendiert,  die Hauptverantwortung für den Krieg Deutschland zuzuschreiben.  Ich werden mich dafür aussprechen, dass man vor allem auf die Ententemächte Großbritannien, Frankreich und Russland blicken muss – ganz besonders aber auf Großbritannien – wenn man den eigentlichen Grund für den Krieg sucht, der die Vorherrschaft Europas zerstörte, das 20. Jahrhundert schuf, und das heutige Amerikanische Weltreich ermöglichte.

Debatte um Vorherrschaft oder Gleichgewicht der Kräfte

In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends übernahm die politische Elite in den USA schließlich selbst die Idee, dass wir im Zeitalter des Amerikanischen Imperiums leben, auch wenn seine Vertreter lieber von einer ‘Vorherrschaft’ sprechen, als von einem ‘Imperium’. Abgesehen von den ausgesprochenen Kritikern der US-Außenpolitik, die schon immer über den ‘US-Imperialismus’ geschimpft haben, waren es hauptsächlich die neokonservativen Propagandisten wie (5)Robert Kagan und die Stimmen britischer Sirenen, wie etwa die von Blairs politischem Berater Robert Cooper und dem Historiker Niall Ferguson, die mit Vorliebe und ohne Hemmungen von einem ‘Amerikanischem Empire’ sprachen, und britische mit römischen Formen des Imperialismus verglichen. Auf den Webseiten der US Think Tanks (Denkfabriken), in Zeitschriften, Konferenzen und politischen Strategiepapieren geht es seit den späten 90er Jahren heiß her in  Debatten um die große Frage: Kann dieses Weltreich (aus eigener Kraft) bestehen?  Diese Frage regte weitere Fragen an, wie: kann die Welt auf friedliche Weise amerikanisiert werden und, in der Folge, zu Amerika werden?  Wird Amerika von innen her zerfallen, wie das mit Rom geschah? Sollte es jetzt  lieber seinen geordneten Rückzug von der Vorherrschaft planen, wie das – so sagt man – Großbritannien getan tat? Oder sollte es warten, bis es vertrieben wird und dann  unvermeidbare Kriege gegen seine größten kulturellen Rivalen, Islam und China,  oder gegen ein wieder aufgestandenes Russland, Europa oder Japan führen? Wie kann sich Amerika angesichts dieser verschiedenen Möglichkeiten am besten verteidigen?

Ein faszinierender Beitrag zu dieser Debatte stammt von Christopher Layne, damals außerordentlicher Gastprofessor an der Naval Postgraduate School in Monterey, California, wo er Internationale Politik und Militärstrategie lehrte, und den er im Sommer 1998 im “World Policy Journal”  veröffentlichte. Er ist auch Berater der RAND Corporation. Die Schrift war betitelt: Rethinking American grand strategy: Hegemony or balance of power in the twenty-first century? (Die amerikanische Gesamtstrategie überdenken: Vorherrschaft oder Gleichgewicht der Kräfte im Einundzwanzigsten Jahrhundert?). Diese Schrift bezieht sich direkt auf die Ereignisse vor 100 Jahren. Laynes Standpunkt entspricht im Grunde der realpolitischen Haltung Kissingers, er kritisiert diejenigen, die im Sinne einer US-Hegemonie argumentieren, bzw.  einer “Doktrin der Übermacht”, wie das etwas euphemistischer in außenpolitischen Kreisen genannt wird.  

Layne deutet ganz klar darauf hin – wie schon Zbigniew Brzezinski 1992 in einem Schlüsselartikel in dem Magazin “Foreign Affairs”, (Band 71, Nr. 4) – dass dieses Thema im Kalten Krieg nie in Frage stand und dass es auch keine opportunistische Antwort auf die Herausforderung des Kalten Krieges war, die dazu führte, dass die USA zu einer Weltmacht wurden. (6)Es war eher so, dass die USA, zumindest seit der Zeit des Präsidenten Franklin D. Roosevelt, immer schon beabsichtigten, einmal die Rolle des Britischen Empire zu übernehmen, und die beherrschende oder ‘herausragende’ Weltmacht zu werden.   Layne schreibt:

    Lange bevor die bipolare Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion Gestalt annahm, strebte Washington die herausragende Rolle in der Welt an. Wie der diplomatische Historiker John Lewis Gaddis anmerkt: die Vereinigten Staaten gingen davon aus, an der Spitze der neuen Weltordnung nach 1945 zu stehen. Nur wenige Historiker würden heute bestreiten, dass die Vereinigten Staaten die internationale Szene nach dem Zweiten Weltkrieg beherrschen wollten, und dies auch taten, und zwar lange bevor die Sowjetunion als ein klarer und gegenwärtiger Antagonist hervortrat.    

Um ein genaues Beispiel von dem zu geben, was Layne hier meint, lohnt ein Blick auf die Ideen von (7)James Burnham. Heute kaum noch ein Begriff, war Burnham in den 1940er und 1950er Jahren außerordentlich einflussreich, insbesondere bei der amerikanischen Rechten und den Vertretern eines starken, global engagierten Amerika, das sich der UdSSR entgegen stellen würde. Burnham war der Sohn eines katholischen Briten, der nach Chicago ausgewandert war. Er kehrte nach England zurück, um ein ‘Balliol man’ zu werden, das heißt, um am Balliol College der Universität Oxford zu studieren. Oxford, und da insbesondere das Balliol- und das All Souls College, war seit Jahrzehnten Mittelpunkt für das, was man eine angelsächsische, wenn nicht angloamerikanische, imperialistische Ideologie nennen könnte.  Das hat Professor Caroll Quigley von der Georgetown Universität in allen Einzelheiten 1949 in seinem Buch “The Anglo-American Establishment” dargestellt. Später rühmte der bekannte Wirtschaftswissenschaftler J.K. Galbraith Burnhams Buch “The Managerial Revolution”  als eines der drei wichtigsten ökonomischen Werke der Vorkriegszeit, das “fraglos C. Wright Mills und George Orwell beeinflusst hat”.  Beide schrieben lange Kritiken darüber. In der New York Times erschienen drei Tage lang Rezensionen und Burnham wurde für das Time Magazine fotografiert. Danach wurde alles was Burnham schrieb aufmerksam verfolgt. In The Managerial Revolution, 1941 veröffentlicht, dasselbe Jahr, in dem Amerika an Großbritanniens Seite in den Krieg eintrat, schrieb Burnham:

    Der erste große Plan für die dritte Stufe geht dahin, dass die USA sozusagen der “Konkursverwalter” für das zerfallende Britische Empire werden soll… Der Versuch geht dahin, einen Umschwung in der Orientierung des Empire zu erreichen, weg von seiner historischen Abhängigkeit von Europa und hin zu einer Abhängigkeit von und Unterordnung unter das zentrale amerikanische Gebiet… Zu diesem Plan einer US-Konkursverwaltung  des Britischen Empire gehören noch weiterführende Ziele, die mit dem Rest Südamerikas, dem Fernen Osten… und eigentlich der ganzen Welt zusammenhängen.

Später während des Krieges arbeitete Burnham im Office of Strategic Studies (OSS), dem Vorläufer des CIA, und dort als Berater im Office of Policy Coordination (strategischer Zusammenarbeit), dem Mitarbeiterstab für verdeckte Aktionen der CIA. 1947 veröffentlichte er “The Struggle for the World” (Der Kampf um die Welt). In diesem Buch, dem Churchill anscheinend beträchtliche Aufmerksamkeit gewidmet hat, schrieb er:

    In Wirklichkeit ist die einzige Alternative zu dem kommunistischen Weltreich ein Amerikanisches Imperium, das, wenn es auch nicht buchstäblich ein weltweites in formellen Grenzen ist, so doch in der Lage sein wird, die entscheidende äußere Kontrolle auszuüben.

Mit anderen Worten: so ein Amerikanisches Imperium wie wir es heute haben. Wie die britischen angelsächsischen Ideologen 40 oder 50 Jahre früher – Cecil Rhodes, W. T. Stead, Lord Rosebery und Arthur Balfour – schrieb Burnham von gemeinsamer Staatsbürgerschaft und voller politischer Union von USA und dem Britischen Empire:

    …die Union könnte nicht durch eine ganz spontane Geburt erfolgen. Es würden schon die  Geburtszangen eingesetzt werden müssen… eine solche Union würde bedeuten, dass Großbritannien, seine Hoheitsgebiete und die Vereinigten Staaten Partner in einer imperialen Föderation würden (hier ist anzumerken, dass diese Länder -  und nur diese -  nun bei dem globalen Abhörsystem Echelon zusammenarbeiten. – TMB). In den frühen Phasen würde Großbritannien unweigerlich der Juniorpartner sein. Diese Tatsache, die sich nicht allein aus populären Vorurteilen ergibt, sondern aus der Realität der Machtverhältnisse, stellt das größte Hindernis für eine Union dar. Es ist hart, von einer so großartigen Nation, die die Welt 300 Jahre lang geführt hat, nun zu verlangen, einen niedrigeren Rang als den ersten zu akzeptieren, ganz besonders wenn diese Forderung von einem Emporkömmling kommt, dessen einzige überlegene Qualifikation – leider die entscheidende Qualifikation – materielle Macht ist.

Die ergebene und gehorsame Haltung heutiger britischer Regierungen scheint darauf hinzudeuten, dass es nicht länger so hart sein kann, von den Briten die Rolle des Juniorpartners in der transatlantischen Firma zu fordern. Auf jeden Fall waren die Briten einfach nicht in der Lage zu übernehmen, was die US-Eliten als die Aufgabe der USA betrachten. In dem Bericht über “The Future of Transatlantic Relations” (Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen) von 1999, forderte die mächtige und ehrwürdige Denkfabrik amerikanischer Außenpolitik, das Council on Foreign Relations, eine “globale U.S.-Europäische Partnerschaft”:

·     um mit der asiatischen Finanzkrise fertig zu werden und um das Weltfinanzsystem zu  überarbeiten;

·     um Russlands Atomwaffen zu demontieren und Russlands Demokratie zu fördern;

·     um alle Konflikte auf dem Balkan zu unterdrücken und es dabei zu belassen.

·     um einen einzigen transatlantischen Markt zu schmieden, der offen ist für Investitionen und Handel;

·     um die pro-westliche Orientierung der Türkei zu erhalten;  

      um die Nato-Strategie so zu erweitern, dass der gesamte Mittlere Osten eingeschlossen wird und eine einheitliche Front in Richtung auf Iran, Irak und den arabisch-israelischen Friedensprozess bildet;

·        um Europa dazu zu bringen, seine rein wirtschaftliche Ausrichtung gegenüber Asien aufzugeben und den USA zu helfen, mit Konflikten im Zusammenhang mit  China, Japan, Korea, Indien und Pakistan fertig zu werden;

·   um eine größere amerikanische und eine viel größere europäische Anstrengung in der Verteidigung  zu unternehmen, um weltweit die militärischen Kräfte zu modernisieren und auszubauen;

·    schließlich um bei Themen wie Massenvernichtungswaffen, Terrorismus, Umwelt, Drogen, Gesundheit, Verbrechensbekämpfung und Menschenrechte zu einer jeweils gemeinsamen Haltung zu kommen.

Das klingt wirklich nach einem Programm zur imperialen Vorherrschaft – Amerika überall in Aktion. Und in einer Rede vor der Council on Foreign Relations (CFR; auf deutsch: Rat für auswärtige Beziehungen) im Oktober 1999, rechtfertigte der nationale Sicherheitsberater Samuel R. Berger das auch, indem er Amerika einen “gütigen Hegemon” nannte, der nicht handelt, um seine eigenen egoistischen Interessen zu fördern, sondern eher

    “zum Wohl des Ganzen. Amerikas Ideale und Werte rechtfertigen seine überragende Bedeutung und seine führende Rolle gründet eher auf seiner moralischen Autorität, als auf seiner militärischen Macht.”

Nun, Christopher Layne argumentierte in dem Papier, auf das ich mich vorhin schon bezog, dass die Herausforderung durch den sowjetischen kalten Krieg nur eine Unterbrechung in der bestehenden US-Agenda darstelle, die alleinige Weltmacht zu werden. Deshalb hat auch die USA auf seiner Übermacht bzw. Vorherrschaft in der eigenen nicht-kommunistischen Sphäre bestanden – der “Freien Welt” – und deshalb hat es seit dem Ende der UDSSR 1991 auf seiner Vormachtstellung – bei vollem Engagement – in der ganzen Welt bestanden.  Er schreibt:

    Selbst nach Beginn des Kalten Krieges war amerikanische Überlegenheit die treibende Kraft hinter der großen amerikanischen Strategie und nicht das In-Schach-Halten der Sowjetunion. Das wurde 1950 in einem wichtigen Papier des National Security Council, NSC-68, klar gestellt, mit dem das intellektuelle Fundament geschaffen wurde für eine Politik militärischen und globalen Eindämmung (Containment). In NSC-68 heißt es: (1) Hinter der amerikanischen Macht steht die Absicht, in der Welt ein Umfeld entstehen zu lassen, in dem das amerikanische System überleben und gedeihen kann; und (2) die Strategie der Vormachtstellung folgt einer Politik, die die Vereinigten Staaten wahrscheinlich selbst dann verfolgen würden, wenn es keine Sowjetunion gäbe. Daher spielte die Sowjetunion eine etwas eigenartige Rolle in der amerikanischen Gesamtstrategie. Einerseits hing die sowjetische Bedrohung klar mit der  amerikanischen Strategie zusammen, weil Amerikas internationale Ambitionen unabhängig von der Sowjetunion bestanden. Andererseits war die Sowjetunion von größter Wichtigkeit für das Erreichen der strategischen Ziele der USA, denn sowohl zuhause wie im Ausland legitimierte der Kalte Krieg die Ausdehnung amerikanischer Macht. Hätte es den Kalten Krieg nicht gegeben, hätte den US-Strategen wohl  ein Argument gefehlt, um das von Amerika verfolgte Ziel eines globalen Übergewichts zu rechtfertigen.

    Die Befürworter einer Politik der Übermacht sind der Ansicht, die Vereinigten Staaten sollten versuchen, ihre Macht… im Verhältnis zu anderen Staaten zu maximieren, weil internationale Politik in hohem Maß auf Konkurrenz basiert… Die Strategie einer auf Vormachtstellung zielenden Politik beruht auf der Annahme, dass Staaten nicht durch eine Machtbalance an Sicherheit gewinnen, sondern dadurch, dass sie ein Machtungleichgewicht zu ihrem Vorteil erzeugen (d.h. indem sie nach Hegemonie streben). [In der Wirtschaft würde das einem Monopol entsprechen, wenn alle Konkurrenz ausgeschaltet ist. TMB]  In einer harten, konkurrierenden Welt ist Sicherheit auf harter Macht gegründet (militärischer Macht und seiner wirtschaftlichen Untermauerung) und es ist am besten, wenn man selbst die Nummer Eins ist.

Hinter dieser Strategie, behauptet Layne, verbirgt sich die Angst vor dem, was passieren könnte, wenn die Welt nicht länger durch eine beherrschende US-Macht gestaltet wird… Große amerikanische Strategen, sagt er, sehen die Aussichten auf eine Wandlung in der internationalen Politik  heute ganz ähnlich wie das der britische Prime Minister Lord Salisbury gegen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts tat.  “Was immer passiert, wird die Lage verschlechtern”, sagte Salisbury, “daher liegt es in unserem Interesse, dass so wenig wie möglich passiert.”  Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit hier auf die beiden ersten Verbindungen zwischen der heutigen Situation und der von vor 100 Jahren lenken:  1) der Angst unter den politischen Eliten, und 2) Robert Cecil, Lord Salisbury, war 1898 britischer Prime Minister, genau 100 Jahre bevor Layne dieses Papier schrieb.  Salisbury hatte auch sehr moderne Ansichten über das Verhältnis zwischen Vorherrschaft und wirtschaftlicher Unabhängigkeit; er sprach von:

    der friedlichen Invasion von England… (er meint durch England – TB). Hat man einmal unbegrenzten Zugang gewonnen, wird man ein paar Jahre später regieren können, ohne noch je ein Schwert ziehen zu müssen (3).

Heute nennt man so etwas “soft power” (sanfte Macht) – die Projektion wirtschaftlicher oder kultureller Werte eines Landes auf ein anderes. Eine Frage, die sich hier ergibt lautet:  Obgleich Layne Recht haben mag was die Angst angeht – aber ist das das einzige Motiv hinter dem Streben nach Hegemonie? Layne stellt klar, dass die US-Eliten im Kalten Krieg und bis in die 1990er Jahre daran interessierte waren, Deutschland und Japan ebenso Grenzen zu ziehen wie der UDSSR. In einem Planungsdokument des Pentagon von 1992, das von dem Neokonservativen Paul Wolfowitz vorbereitet worden war, heißt es: Um die Strategie der Vormachtstellung erfolgreich umzusetzen,

    müssen sich die Vereinigten Staaten hinreichend um die Interessen der großen Industrienationen kümmern, um sie davon abzuhalten, unsere Führungsstellung in Frage zu stellen oder zu versuchen, die etablierte politische oder ökonomische Ordnung zu stürzen.

Die US-Eliten sind also entschlossen, zwei frühere Feinde, Deutschland und Japan, unter dem Daumen zu halten und sie sind beunruhigt über den Aufstieg eines viel größeren potentiellen Feindes – China. In dieser Lage war  vor 100 Jahren auch Großbritannien. Es hatte seine alten Feinde geschlagen – Frankreich entscheidend in den Napoleonischen Kriegen und Russland in den Krimkriegen – aber diese beiden alten Feinde stellten immer noch eine Restbedrohung dar, und das umso mehr, als sie in der französisch-russischen Allianz von 1893 zu Verbündeten wurden. Die aufstrebende europäische Macht von 1890 war natürlich Deutschland, das eine wesentlich schwierigere Herausforderung darstellte, denn Deutschland erschien in jeder Weise ein besser organisierter und effektiverer moderner Staat zu sein, als Großbritannien – außer im Bereich der Finanzen.

Nachdem Layne nun Hintergrund und Bedeutung der Strategie der Vormachtstellung oder Hegemonie beschrieben hatte, ging er dazu über, sie zu kritisieren:

    Ob die Strategie (der Vormachtstellung) durchführbar ist, hängt an der  folgenden Frage: Kann die USA den Aufstieg neuer Großmächte verhindern und damit seine Hegemonie unbegrenzt weiterführen?

Wenn Sie hier ‘Amerika’ durch ‘Großbritannien’ ersetzen, haben Sie genau die Frage vor sich, die die außenpolitischen Eliten Großbritanniens zwischen 1890 und 1900 beschäftigte. Layne betrachtet dann das einer Strategie der Vormachtstellung notwendig zugrunde liegende ökonomische Konzept, insbesondere die wirtschaftliche Unabhängigkeit, und fragt: führt sie denn wirklich zum Frieden?

    Der Glaube, freiheitliche Demokratie würde amerikanische Hegemonie legitimieren, zieht sich durch die ganze Garde der US-Außenpolitiker. …. Amerikanische Gesamtstrategie beruht auf einer Reihe von Annahmen über die Beziehung zwischen einer liberalen internationalen ökonomischen Ordnung (d.h. der wirtschaftlichen Öffnung auf Grundlage eines multilateralen Freihandels) und Sicherheit. Insbesondere glauben US-Strategen, dass wirtschaftliche Unabhängigkeit zum Frieden führt und damit zu höherer Sicherheit für die Vereinigten Staaten.

Sicherlich, das Konzept gegenseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit ist das Fundament so genannter ‘liberaler’ Außenpolitik seit den 1840er Jahren, als Großbritannien die protektionistischen Corn Laws (Getreidegesetze) abschaffte und sich den Grundsätzen des freien Handels verpflichtete. Britische Liberale haben das immer damit begründet, dass gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit Volkswirtschaften und Nationen miteinander verbinden und dadurch den Frieden fördern würde.  “Freie Märkte und Demokratie” – ist der ständige Wahlspruch der Verfechter moderner angelsächsischer Hegemonie in einem amerikanischen Weltreich gewesen. Amerikanische Übermacht oder Hegemonie, sein Status als einzige Supermacht, gründet daher auf dem Konzept eines amerikanischen Empires, das auf grundsätzlich liberalen Prinzipien basiert, die mindestens bis in die 1840er Jahre zurückreichen – auf der Idee eben, dass freie Märkte zu Frieden und  Wohlstand führen, weil jeder Geschäfte machen möchte.  Wenn dann jeder seinen Geschäften frei nachgehen kann, ‘liberal’ eben, ohne Handelsbeschränkungen, dann wird Schluss sein mit Konflikten zwischen Nationen, weil alle Wirtschaftssysteme voneinander abhängig sein werden. Probleme können in einer Atmosphäre des guten Willens bereinigt werden, etwa auf Konferenzen zwischen den “Großen und Guten” (z.B. WTO, Weltbank, IWF, G8, Davos). Allerdings, heißt es dann, braucht dieses weltweit voneinander abhängige wirtschaftliche System einen Polizisten, der für Ordnung sorgt, genauso wie Geschäfte in jedem Land eine Polizei und Gesetze brauchen, die für sichere Rahmenbedingungen sorgen, innerhalb derer dann der Handel stattfinden kann. Man geht davon aus, dass nur die amerikanischen Streitkräfte und die seiner Verbündeten unter Führung der Vereinigten Staaten diese Weltpolizeimacht sein können, und handelt entsprechend – trotz anders lautender Äußerungen, die von Zeit zu Zeit vom Weißen Haus gemacht werden.

Layne kritisiert dann des weiteren das gesamte liberal-imperialistische Paradigma, und kommt so sehr bald zu den 1890er Jahren und der britischen imperialen Erfahrung: Da bietet sich eine Parallele zwischen dem späten viktorianischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten heute geradezu an, meint er. Er weist auf den britischen Staatsmann des späten 19. Jahrhundert hin, Lord Rosebery, der klar erkannte, dass gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit zu einer strategischen Überdehnung führen könnte. Rosebery sagte:

    “Unser Handel ist so universell und alles durchdringend, dass kaum eine Frage in irgendeinem Teil der Welt aufkommen kann, die nicht britische Interessen angeht. Diese Überlegung erweitert nicht unseren Handlungsspielraum, sondern schränkt ihn eher ein. Denn (wenn) wir die Leitlinien für eine Einmischung nicht streng begrenzten, wären wir immerzu gleichzeitig in etwa 40 Kriege verwickelt.”  

Auf Rosebery komme ich später zurück; jetzt soll es genügen wenn ich sage, dass Layne es unterlässt, darauf hinzuweisen, dass Rosebery nicht irgendein Staatsmann war, sondern der führende, lautstärkste Vertreter der neuen Doktrin des Liberalen Imperialismus und zudem der direkte Mentor von Sir Edward Grey, der nahezu 20 Jahre lang zu ihm aufsah und ihn als seine Inspirationsquelle und Führer betrachtete.

Kritiker einer Vormachtstellung oder eines Status als einziger Supermacht – und dazu gehört Layne – argumentieren so, dass sie sagen, die Notwendigkeit Amerikas globale wirtschaftliche Interessen zu schützen, führe Amerika unausweichlich in immer mehr Konflikte hinein, nicht in weniger. Solche Kritiker -  Henry Kissinger ist einer der prominenten unter ihnen -  befürworten die Rückkehr zu einem multipolaren Machtgleichgewicht. Layne schreibt:  

    Die Befürworter einer Strategie des Machtgleichgewichts sind der Ansicht…. dass Hegemonie ein von Natur aus instabiler Zustand ist, und daher keine erfolgreiche Strategie sein kann. Sie glauben auch, dass es den Vereinigten Staaten an Mitteln mangelt, um die augenblickliche Vormachtstellung aufrecht halten zu können. Das Machtgleichgewicht als Alternative zu einer Politik der Vormachtstellung, wäre ein freier strategischer Balanceakt. Das historische Modell für eine solche Strategie ist Großbritannien während seiner Glanzzeit als Großmacht. Als eine insulare Großmacht in einer multipolaren Welt, würden die Vereinigten Staaten strategisch eine freie Hand behalten: Obgleich es erforderlich sein mag, vorübergehende Koalitionen einzugehen, würde Amerika davon absehen, dauerhafte Bündnisverhältnisse zu schaffen. Dadurch wäre Amerika in der Lage, eine ‘freie Hand’ zu behalten.  

Wir sehen hier, dass ein Teil der Eliten in der US-Außenpolitik – nämlich der von Henry Kissinger repräsentierte – auf Großbritanniens imperiale Vergangenheit schaut, wenn Rat gesucht wird für die Zukunft Amerikas. Die britischen Erfahrungen dienen als Modell. Indem er Amerika offensichtlich als eine “große Insel” betrachtet, als ein “Größeres Großbritannien”, fährt Layne fort:

    Insulare Großmächte… können es sich leisten, weniger in die Verteidigung zu investieren und mehr in wirtschaftliches Wachstum; sie können sich also eher wie Handelsstaaten verhalten und weniger wie Staaten, denen es um nationale Sicherheit geht. Offshore balancing/Das Herstellen eines freien Gleichgewichts wäre daher der klügere Weg, um Macht zu maximieren, als eine Übermacht anzustreben: Die Vereinigten Staaten wären in der Lage, die eigene relative Stärke zu vergrößern, ohne deswegen Rivalen direkt entgegentreten zu müssen. Großmächte, die von der Seitenlinie her zuschauen, wie  die Konkurrenz um Sicherheit wetteifert und in Konflikte gerät, gewinnen ausnahmslos an relativer Macht.  

Genau das war die Strategie Großbritanniens – eine Strategie der “splendid isolation” (in Absonderung glänzend/im Glanz isoliert) – von 1820 bis 1902, als Großbritannien diese Politik aufgab und das erste dauerhafte Bündnis unterzeichnete – mit dem imperialen Japan. Achten Sie hier darauf, dass Layne von der Option spricht, dass Amerika eine offshore power (e.g. “offshore-windparks” are “Offshore-Windparks” in German) werden könnte; er betrachtet Amerika hier als eine Insel, eine insulare Macht, genau wie Großbritannien. Er spricht von der Möglichkeit, dass Amerika eher ein Handelsstaat würde, wie Japan heute, oder das mittelalterliche Venedig, oder wie es die USA in den 1820er Jahren wirklich war, zur Zeit der Monroe Doktrin. Einige mögen dies als Hirngespinst betrachten, aber dennoch ist es das Modell, das hier vorgestellt wird.  Achten Sie auch auf den im Grunde machiavellistischen Geist, der aus dieser Option spricht: Großmächte, die von der Seitenlinie her zuschauen, wie  die Konkurrenz um Sicherheit wetteifert und in Konflikte gerät, gewinnen ausnahmslos an relativer Macht. Genau so verhielten sich Großbritannien und die USA während Deutschland und Russland sich von 1941 – 44 zerfetzten, und so hat sich im Grunde auch Großbritannien von 1950 an  gegenüber dem europäischen Kontinent verhalten, als es sich weigerte, der “Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl” (EGKS) beizutreten und sich erst 1973 endlich entscheiden konnte, sich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzuschließen, und so verhält es sich jetzt noch einmal beim Thema “Euro”: Außen vor bleiben, die unausweichlichen Streitereien zwischen den anderen Ländern abwarten und dann beitreten, wenn man die Situation zu seinem Vorteil nutzen kann.

Layne kommt nun zu seiner Schlussfolgerung:

    Schlicht gesagt, ohne den Kalten Krieg wird Amerika nicht in der Lage sein, seine im Kalten Krieg gewonnene Überlegenheit oder Stabilität aufrecht zu halten. Internationale Politik verläuft  dynamisch, nicht statisch.   Wie Paul Kennedy feststellte: “Es war einfach noch nie irgendeiner Gesellschaft gegeben, allen anderen auf Dauer überlegen zu sein.” Die Bedingungen, die Amerikas Übermacht ermöglicht haben, ändern sich rasant. Täuschen Sie sich nicht: Irgendwann in den ersten Jahrzehnten des Einundzwanzigsten Jahrhunderts wird das große strategische Ziel Amerikas nicht mehr die Übermacht sein.  Wenn sich aber die Vereinigten Staaten jetzt nicht entschließen, den Übergang zu einer neuen strategischen Zielsetzung einzuleiten, die den sich herausbildenden internationalen Realitäten des neuen Jahrhunderts besser entspricht, werden die Ereignisse es dazu zwingen.  

Auch hier erleben wir wieder die Debatte, die schon die regierende Klasse Großbritanniens in den 1890er Jahren beschäftigte, als man argumentierte, die Strategie, mit der Britannien in der  80 Jahre währenden Periode als Übermacht  gut gefahren war, sei nun nicht länger angemessen. Es gab die wachsende Befürchtung, Großbritannien wäre nicht länger in der Lage, gegen die wachsende latente Stärke solcher enormen Kontinentalmächte wie Russland oder den USA zu bestehen, oder auch gegen die schiere Effizienz und Modernität  Deutschlands. Auch Japan und Frankreich boten ärgerliche Herausforderungen in Asien und Afrika, die kostbare Mittel  verschlangen.  Die britische politische Elite war gespalten zwischen denen, die für eine Fortsetzung der Politik der “splendid isolation” plädierten, womit das Britische Empire ganz auf seine eigene Kraft angewiesen wäre (das war zum Beispiel die Haltung Joseph Chamberlains nach 1901), und denen, die sich lieber freundschaftlich mit anderen Ländern verbinden und verbündeten Gruppierungen  beitreten wollten, als eine Art Versicherungspolice in einer zunehmend konkurrierenden Welt. Die zweite Gruppe argumentierte, genau wie Layne, so: Wenn (das Land) sich nicht bald entschließt, den Übergang zu einer neuen Gesamtstrategie zu machen, die der internationalen Realität so wie sie sich im neuen Jahrhundert zeigt, besser angepasst ist, werden die Ereignisse es dazu zwingen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Fäden zusammenführen, bevor ich fortfahre. Erstens haben wir ein amerikanisches Weltreich, das angeblich auf dem Prinzip des gutartigen Machtmonopols und wirtschaftlicher Unabhängigkeit beruht.  Vielleicht können wir so sagen: Amerika ermuntert sachte den Rest der Welt nach seinen Spielregeln zu spielen, so wie Großbritannien das im 19. Jahrhundert tat. Niemandes militärische Macht oder Fähigkeit, diese Macht einzusetzen reicht auch nur entfernt an die der Vereinigten Staaten heran. Dennoch kann dieses System auf Dauer nicht bestehen, denn historische Vergleichsfälle zeigen, dass solche Hegemonien immer Ressentiments erzeugen und Rivalen entstehen lassen, was irgendwann zu Konflikten führt; und überdies, weil gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit unter heutigen Bedingungen nicht zum Frieden führt, sondern in die Auseinandersetzung, denn Amerika muss alle Feuer, die irgendwo aufflackern, löschen, einschließlich derjenigen, die vielleicht ausgerechnet die Sicherheit von Ländern berühren, an denen Amerika besonders interessiert ist und damit beschädigt es möglicherweise Amerikas wirtschaftliche Interessen. Es ergibt sich hier also so etwas wie ein Widerspruch.

Zweitens, dieses Amerikanische Weltreich trat an die Stelle eines Britischen Weltreiches, das selbst auf ähnlichen liberalen Voraussetzungen gegründet war: Freier Handel, gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten und eine übermächtige Militärmacht – im Fall Großbritanniens einer Seestreitkraft. Drittens, was vielleicht 1835 mit der Ankunft von (8)George Peabody in Großbritannien,  eines Kaufmanns aus Baltimore, seinen Anfang nahm, dessen Aktivitäten zur Gründung der Morgan Bankdynastie führte, und dann weiter ging mit dem Eintreffen von vielleicht 130 außerordentlich reichen und attraktiven jungen amerikanischen Erbinnen in Britannien in den Jahrzehnten zwischen dem Amerikanischen Bürgerkrieg und 1914, die in aristokratische und britische Oberklassenfamilien heirateten, führte dazu, dass enge Verbindungen geschmiedet wurden zwischen den politischen und wirtschaftlichen Eliten der beiden Länder, was wiederum einen verhältnismäßig reibungslosen Machtübergang von einem Imperium zum anderen ermöglichte. Ron (8)Chernows Buch The House of Morgan zeigt beispielsweise im Detail die intimen Verbindungen innerhalb J. P. Morgans sehr anglophilem Finanzimperium auf, das von 23 Wall Street und der City of London aus betrieben wird.

Es hat ein paar Störungen in der Übergangsphase gegeben, aber es GAB einen imperialen Wechsel und dieser Wechsel war von bedeutenden Mitgliedern sowohl des britischen wie des amerikanischen Establishments angestrebt worden. Wie schon erwähnt, hat der amerikanische Gelehrte (9)Caroll Quigley die Ursprünge der angelsächsischen imperialen Bewegung, die auf die Tage von Cecil Rhodes zurückgehen, in seinem Buch (9)The Anglo-American Establishment (1949) beschrieben. Die Briefe von Walter Hines Page, US-Botschafter in Großbritannien während des Ersten Weltkriegs, und die Papiere von Col. House, Woodrow Wilsons Sonderberater, machen deutlich, dass die US-Eliten damit gerechnet haben, das Britische Imperium in Schlepptau zu nehmen, nachdem es seine Energien im Krieg erschöpft hatte. Ja, auch Laynes Schriftstück und die heutigen Vertreter eines Machtgleichgewichts in der US Außenpolitik, auf die er anspielt, sind selbst gute Beispiele für den anhaltenden Einfluss der pro-britischen Atlantiker und vor allem der  Ostküstengruppen innerhalb der USA.  Wie es der mexikanisch-amerikanische Dramatiker Louis Valdez ziemlich rüde aber treffend ausdrückt: New York wendet sein Gesicht England und Europa im Allgemeinen zu, und  seinen Arsch nach Kalifornien….

Das führt uns zu den Jahrzehnten unmittelbar vor 1914. Wie ich schon erwähnte, ist es nun mit Blick auf Laynes Papier eine interessante Tatsache, dass sich so viel klar und manchmal ausdrücklich auf die Situation bezieht, in der sich diejenigen befanden, die für die britische Außenpolitik von 1890-1914 verantwortlich waren.  Die Frage der Angst als Motiv für wesentliche Änderungen in der Außenpolitik, der Aufstieg neuer großer Machtrivalen, Allianzen oder Isolation, Hegemonie oder Machtgleichgewicht, Gründe für und gegen gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten, Lord Salisbury, Lord Rosebery – das alles sind Ähnlichkeiten, die in Laynes Analyse eine Rolle spielen.

Was also ist es wohl, was Layne oder auch andere Mitglieder in Kreisen der amerikanischen Außenpolitik, insbesondere der “Atlantiker” oder pro-britisch Orientierten,  aufmerken und auf die Ereignisse vor 100 Jahren blicken lässt?  In welcher Situation befand sich das Britische Empire zu dieser Zeit und in welcher Hinsicht ähnelte sie bzw. unterschied sie sich von der Lage des Amerikanischen Imperiums heute?     

Britische Imperative um 1900

Die Befürworter amerikanischer Vorherrschaft sind der Ansicht, die USA solle sich überall voll engagieren, um die wirtschaftlichen Interessen Amerikas zu verteidigen und die so genannten “amerikanischen Werte” zu fördern, also die Demokratie, insbesondere die “Herrschaft des Rechts”, den “Pluralismus” und den “freien Markt”.   Ein solches Engagement erfordert ein Bündnissystem mit verschiedenen Ländern, die diese Werte ebenfalls anerkannt haben.  Hierin liegt schon ein Unterschied zu der britischen Vorherrschaft im 19. Jahrhundert, denn Großbritannien hatte damals keine Verbündeten. Die regierende Elite zog es vor, sich nur dann in Übersee zu engagieren, wenn sie ihre Interessen ernsthaft gefährdet sah – meist im Zusammenhang mit der Verteidigung Indiens.  Selbst der Opiumkrieg hatte eine indische Dimension, da die britisch-indische Wirtschaft (wie auch der britische Binnenmarkt) davon abhing, dass die Chinesen Opium kaufen würden.  Wenn man  von Indien nach dem Aufstand von 1857 absieht, wurde das Empire damals in einer eher distanzierten Weise regiert, insbesondere in den weißen Herrschaftsbereichen. Allerdings begannen die Briten dann gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihr Empire engagierter zu verteidigen – auf die Gründe werde ich gleich näher eingehen – und dieses verstärkte Engagement führte sie schließlich in Bündnisse mit Rivalen hinein, die notwendig geworden waren, um den neuen Einsatz für ihr Weltreich zu schützen.  

  In Bezug auf Europa hielt man allerdings an der traditionellen Politik eines Gleichgewichts der Kräfte fest – d.h. die britischen Eliten waren jederzeit bereit, sich mit dem Gegner desjenigen europäischen Staates zu verbünden, der gerade in Europa die Vorherrschaft anstrebte und in der Folge entweder eine Invasion Großbritanniens planen oder einfach dem britischen Handel schaden könnte.  So jedenfalls wurden (10)die Bündnisse begründet, die man mit Frankreich 1904 und mit Russland 1907 schloss. Deutschland, so wurde argumentiert, drohe Europa zu dominieren und damit erforderte also die Doktrin vom Gleichgewicht der Kräfte, dass man sich mit Deutschlands Feinden verbünden müsse, um Deutschland zu bremsen und den Frieden in Europa zu sichern.  Diese Politik schlug allerdings fehl, das erzielte Bündnissystem führte nur dazu, dass sich die deutsche Regierung zunehmend bedroht fühlte, was  dann in der Katastrophe von 1914 – 18 endete, und schließlich auch zum Ende des Britischen Empires führte,  das damit de facto an die USA überging.  (11)Durch die Annektierung deutscher Kolonien 1919 vergrößerte  sich das Britische Empire noch einmal(12), und trotz scheinbarem amerikanischen Isolationismus, war Großbritannien  seit 1916 finanziell abhängig von den USA; es war in beträchtlichem Umfang zum Schuldner Amerikas geworden.  Dieser Prozess kam 1945 zum Abschluss, als die USA nach dem Zweiten Weltkrieg, der eine direkte Folge des Ersten war,  das erschöpfte Britische Empire mehr oder weniger aus der Verantwortung entließ und es praktisch zwang,  seinen Laden dicht zu machen.  (in der sprechende Redewendung von James Burnham:  die USA wurde wurde zum “imperialen Konkursverwalter des britischen Weltreiches”).  Zugleich wurden ständige amerikanische Militärstützpunkte in Großbritannien errichtet. Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte die britische Regierung, ihre fehlgeschlagene Bündnispolitik zu vertuschen und damit zu rechtfertigen, dass sie behauptete, die deutsche Politik sei bösartig gewesen und habe auf einen Krieg abgezielt und dass deshalb eine vernünftige Interessenpolitik, wie die eines Gleichgewichts der Kräfte, Deutschland nicht davon abgehalten hätte, diesen Krieg anzuzetteln.

Warum haben sich die Briten nach 1870 zu mehr Engagement in ihrem Empire   entschlossen? Eine Antwort lautet: damit sollten Probleme zu Hause gelöst werden.  Gerade die reaktionärsten Kreise der britischen Gesellschaft, also die, die der Krone besonders nahe standen und die Erbaristokratie, verloren zugunsten der Mittelklassen beständig an Macht.  Hinzu kam, dass sich nach 1860 die Arbeiter in den Fabriken zu organisieren begannen und damit  eine sozialistische Bewegung entstanden war, die Rechte einforderte. Die führende Schicht sah sich vor ernste Schwierigkeiten gestellt: Wie sollte man mit diesen neuen Entwicklungen umgehen? Zwischen 1840 und 1850 hatte der Materialismus in Großbritannien seinen Höhepunkt erreicht, sowohl in philosophischem wie im industriellen Sinne; daraus war eine Doktrin des Utilitarismus und des wirtschaftlichen Liberalismus entstanden, die sich ausschließlich auf dem so genannten rationalen Eigeninteresse gründete und in der Folge durchzog eine krasse Hässlichkeit und Künstlichkeit das städtische und bürgerliche Leben.  1859 veröffentlichte Darwin dann sein Buch “Origin of Species” (Die Entstehung der Arten…) und seine Gedanken wurden bald von Schriftstellern wie Spencer, Huxley und Galton auch auf die menschliche Gesellschaft bezogen, und ihre Vorstellungen bezeichnete man dann entsprechend als Sozialdarwinismus.  Als Antwort auf den universalistischen und rationalistischen Deismus der Aufklärung, hatte sich die mächtige viktorianische evangelikale Bewegung -  berauscht von romantischen Vorstellungen -  schon entschieden, dass Britanniens Größe natürlich eine gottgegebene sein müsse und dass daher die angelsächsische Rasse verpflichtet sei, tatkräftig in die Welt einzugreifen.  In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hieß es dann,  sowohl die Wissenschaft wie auch die Bibel hätten die Überlegenheit der weißen, und ganz besonders  der angelsächsischen Rasse “bewiesen”,  da diese sich ja offensichtlich als die ueberlegene erwiesen hatte.

(13)Die große materialistische Welle in der Mitte des Jahrhunderts bewirkte natürlich eine Gegenreaktion, wie sie dann einerseits  beispielsweise in der spiritistischen Bewegung hervortrat,  (14) in der künstlerischen Richtung der Präraffaeliten oder in den Gedichten Tennysons, etwa in dem damals unglaublich populären Gedicht “Idylle des Königs”; (15)andererseits auch in einem Verlangen nach Transzendenz, wie es z.B. in einer Form den spätviktorianischen Imperialismus als Sehnsucht nach dem Osten durchdrang. Man konnte sogar beobachten, wie sich das Verlangen nach Transzendenz auch in dem unbewussten Impuls ausdrückte, “Brüderlichkeit” im 19. Jahrhundert zu entwickeln, neben den Bewegungen für Freiheit und Gleichheit im 17. bzw. 18. Jahrhundert. Die Sozialisten forderten eine Brüderlichkeit der Arbeitsklasse, die Imperialisten eine Brüderlichkeit der Rasse und der Nation – ein durchaus üblicher nationaler oder  rassenorientierter Vorsatz.  Zwischen diesen beiden Gruppen riefen radikale Liberale nach einer internationalen Freihandelszunft, aber deren Widerstreben, den eigenen Antistaatsdogmatismus zurückzunehmen bewirkte, dass ihre Stimmen von den Massen zunehmend ignoriert wurden,  weil sie gerade von jenen grausam unterdrückt wurden, die  das eigene Wohl mittels  ausbeutender kapitalistischer und plutokratischer “Freiheiten”  zu verwirklichen suchten.  

Zwei imperialistische Strömungen 1868 – 1914

Es gab zwei unterschiedliche imperialistische Strömungen, die mit unterschiedlichen Lösungen an die Probleme – daheim und im Ausland -  herangingen, mit denen die führende Klasse in Großbritannien konfrontiert wurde. Die eine Strömung hatte einen eher rassistischen Ton und war dafür, die nichtweißen Kolonien aufzugeben, weil man sie für exotisch und unproduktiv hielt.  Man argumentierte, Britannien sollte sich -  wenn es mit den künftigen Großmächten Amerika und Russland Schritt halten wolle – mit den weißen Herrschaftsgebieten zusammenschließen und so ein “Größeres Britannien” schaffen. Diese Ansicht vertrat der in Cambridge lehrende Historiker John Seeley in seinem außerordentlich erfolgreichen Buch “The Expansion of England” (1883), von dem in den beiden ersten Jahren nach Erscheinen 80.000 Exemplare verkauft wurden und das bis weit ins 20. Jahrhundert hinein viel gelesen wurde. In dem Jahr nach seinem Erscheinen wurde die Imperial Federation League gegründet, die sich um diesen Zusammenschluss mit den weißen Kolonien bemühte.  Seely,  der von dem Liberalen Prime Minister Gladstone 1869 zum Regius Professor für Geschichte (ein von Heinrich VIII gestifteter Lehrstuhl) in Cambridge ernannt  worden war, hatte einen liberalen, evangelikalen Hintergrund, aber er schrieb ein Buch über Christus, das in der viktorianischen Gesellschaft einen Skandal hervorrief: Ecce Homo (1865).  Er betrachtete das Christentum als eine nationale Religion und Christus einfach als einen moralischen Gesetzgeber.   Für Seely waren Kirche und Staat ein und dasselbe.   Diese eher rassistische Strömung in der britischen Bündnispolitik, die nichts mit Völkern zu tun haben wollte, die keine weiße Hautfarbe haben, weil sie sie als  anpassungsunfähig an angelsächsische Traditionen betrachtete, sollte sich später mit Joseph Chamberlains Bewegung für “Imperial Preference and Tariff Reform”  1903 verbinden.  Streit über das Empire und Irland spaltete die Liberale Partei in den Achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts und die mehr imperialistisch Gesinnten bildeten eine Splitterpartei, die Liberal Unionists, die sich dann mit der Konservativen Partei zusammenschlossen. (16)Chamberlain, dieser einflußreiche, dynamische Bürgermeister von Birmingham war der Anführer dieser Gruppe.   Nach einem Aufenthalt in Kanada und den USA 1887 (von wo er seine junge amerikanische Ehefrau mitbrachte), verliebte er sich auch in den rassistischen Traum eines imperialen Staatenbundes und  anglo-amerikanischer Einheit.

Rudolf Steiner machte in einem Vortrag vom 20. 2. 1920 in Dornach auf Chamberlain in Verbindung mit  einer Imperial Federation (einem Bündnis aller weissen englisch sprechenden Länder)  aufmerksam und tatsächlich verband sich in Chamberlains eigenem Schicksal sehr stark seine Neigung zur radikalen, liberalen Strömung der Mittelklasse, mit dem aristokratisch-autoritären Drang zu dominieren.  Im Leben dieses imagebewussten Mannes, der immer ein Monokel trug und eine Orchidee im Knopfloch, gewann schließlich seine Vorliebe für  Glanz und Ehre der herrschenden Rasse die Oberhand über den Geist individueller Freiheit.

Ein Jahr vor Seeleys Ernennung durch Gladstone, hatte ein anderer radikaler Republikaner und enger Partner Chamberlains, (17)Sir Charles Dilke, Politiker und erster liberaler  Verfechter des Imperialismus, sein Buch “Greater Britain” (1868) nach einem Aufenthalt in den USA und in den weißen Kolonien veröffentlicht.  Dilke war einer der radikalsten und progressivsten Liberalen seiner Zeit. Hier ein Zitat aus diesem Buch:

    In Amerika konnten wir den Kampf der edlen gegen die gemeinen Rassen erleben – die Anstrengungen der Engländer, sich gegenüber den Iren und Chinesen zu behaupten. In Neuseeland sahen wir, wie die stärkere, energischere Rasse die klugen,  fleißigen Abkömmlinge der asiatischen Malayen verdrängten; auch  in Australien triumphierten die Engländer,  während die gemeinen Rassen vom Landbesitz ausgeschlossen sind – nicht allein aufgrund des sozialen Unterschieds, sondern durch die Willkür des Gesetzes; in Indien wurden die Probleme gelöst, indem man die Angehörigen niedriger Rassen auf ihren Posten durch solche der edleren Rasse ersetzt.  Wir haben überall festgestellt, dass die Schwierigkeiten, die einer  Weltherrschaft des englischen Volkes entgegenstehen,  in den Konflikten mit den gemeineren Rassen zu suchen sind. Das Ergebnis unserer Untersuchung gibt uns Grund zu der Annahme, dass Rassenunterschiede noch für lange Zeit bestehen werden, dass eine Vermischung nur sehr langsam zu einer Harmonisierung  der Rassen führen wird und dass die edleren, im Großen und Ganzen,  wohl die gemeinen Völker vernichten werden, und dass das Saxentum aus diesem zweifelhaften Kampf siegreich hervorgehen wird.

Trotz Dilkes republikanischer Gesinnung war er von 1880 bis 1886 gut befreundet mit dem Prinzen von Wales, dem späteren (18)König Edward VII. Offenbar teilte der Prinz die geradezu fanatischen imperialistischen Ansichten Dilkes. Dilke schrieb:

    Der Prinz ist natürlich ein entschiedener  Konservativer, aber er  ist ein noch entschiedener  Jingo (ein wild entschlossener Imperialist – TMB), sehr einverstanden mit der Politik der Queen, möchte er alles überall in der Welt in Besitz nehmen und, wenn möglich, alles behalten. (6)

Obgleich Dilke seinen radikalen Liberalismus mit Chamberlain teilte, repräsentierte er mit dem Prinzen zusammen die zweite imperialistische Strömung, (19)die ganz klar an die Überlegenheit,  an die universelle Vorherrschaft des englischen Volkes glaubte, die alles überall in der Welt  in Besitz nehmen wollte und es als ihre Mission und ihre Pflicht ansah, über die minderwertigeren Völkern zu herrschen.  Für diese grandiosere Strömung des Imperialismus trat zuerst (20)Benjamin Disraeli ein in seiner berühmten Rede im Crystal Palace in London 1872, in dem Jahr nach der Gründung des Deutschen Reiches und ein Jahr vor Beginn der großen Depression.  (21)Dieser Ort, Crystal Palace, war besonders bedeutsam und seine Wahl sicher kein Zufall,  Prinz Albert hatte dort als Gastgeber der Weltausstellung 1851 Triumphe gefeiert. Diese Ausstellung war auch der Höhepunkt der klassischen, liberalen Freihandelsströmung, die an der Aneignung von Kolonien nicht interessiert war. In Disraeli verbanden sich nun radikale mit imperialistischen Impulsen. Er hasste diejenigen, die er die Venezianischen Oligarchen nannte, die England seit der “glorreichen Revolution” von 1688 regierten. Aber trotz seines ehrlichen Interesses an den unteren Klassen, hegte er auch eine romantische Vorliebe für die Aristokratie.  Als erfolgreicher und phantasievoller Romanschriftsteller träumte er von einer Torydemokratie, einem  Bündnis zwischen echtem Landadel und der arbeitenden Bevölkerung Britanniens, dessen Grundlage die Krone sein sollte, und das sich den  kleinkarierten kommerziellen Bestrebungen der städtischen Mittelklasse mit ihren oligarchischen Führern entgegenstellen würde.

Mit seinem ausgeprägtes Bewusstsein für rassische Unterschiede und sein eigenes jüdisches Erbe, blickte Disraeli immer nach Osten und er sah in einem ruhmreicheren, von (22)Gloriana, der Märchenkönigin, wie er Viktoria nannte, regierten indischen Reich eine große Ost-West Mission für das britische Volk, eine Aufgabe, die es sicherlich von den bitteren sozialen Spaltungen daheim ablenken würde.   Und auch die Konservativen und ihre aristokratischen Unterstützer knüpften an Disraelis Visionen neue Hoffnungen für ihren ins Stocken geratenen politischen Erfolg.  Überdies war auch die Mittelklasse größtenteils  von der Vision angetan, denn in gewisser Weise war der demokratische Toryismus ein Versuch, das aristokratische Prinzip auf das ganze englische Volk auszudehnen, und die Mittelklasse, die “snobs”, die den sozialen Status der aristokratischen “nobs” (der feinen Herren) anstrebten, erwiesen sich als besonders anfällig für Disraelis anmaßende und verführerische imperialistische Versuchungen. (23)Disraelis Stolz auf sein Judentum – wie man seinen politischen Romanen um 1840 entnehmen kann, insbesondere Coningsby und Tancred – war auch eine Quelle für  seine imperialen Visionen und auf Asien gerichteten politischen Leitlinien. Er träumte von einem Ost und West umfassenden Reich, das mit dem englischen Sinn für das Praktische, aber inspiriert durch orientalische religiöse Weisheit geführt werden sollte.

Eine Form religiöser Weisheit, wenn auch nicht gerade die, die Disraeli im Sinn hatte, erschien auch prompt in Gestalt der exotischen  Theosophischen Gesellschaft, die 1875 in New York gegründet worden war.  Zwei Jahre später ernannte Disraeli Viktoria zur Kaiserin von Indien und der Sohn seines alten Freundes (24)Edward, Lord Bulwer-Lytton -  wie sein Vater Autor romantischer Geschichten -  wurde Viktorias erster Vizekönig in Indien.  1879 verlegte die Theosophische Gesellschaft, die sich schnell in den oberen Reihen der englischen Gesellschaft verbreitet hatte, ihr Hauptquartier nach Indien.

Disraelis grandioser Traum sprach vor allem die britische Mittel- und Oberklasse an, diejenigen, die Corelli Barnett in seiner ausgezeichneten Studie “The Collapse of British Power”, spöttisch die  “romantischen Seelen” nannte:

    Dass Indien in  den britischen Köpfen als letzter Ausweg lebte, war nicht auf Berechnungen gegründet, sondern auf Liebe. Indien, das Leben in Indien, gab der britischen Mittel- und Oberklasse Glanz. (25) Nichts gab den Briten ein solch herrschaftliches Gefühl wie Indien (7).

Außerdem bot sich Indien als ein gigantisches soziales Experimentierfeld für die Briten an. Frühere Absolventen privater Schulen, die an römischen Klassikern und Platos “Staat” herangebildet worden waren, konnten ihre imperialen römischen Instinkte ausleben, indem sie die Eingeborenen zivilisierten.  Es sei doch eine gute Sache, meinten sie und eine moralische obendrein, Licht dahin zu bringen, wo es vorher nur Dunkelheit gegeben hatte.  Viele Männer der britischen (26)Oberklasse waren auch Freimaurer, so dass so ein Bild von Licht und Finsternis ihrer zweiten Natur entsprach, während  sehr viele Angehörige der Mittelklasse evangelikale oder nonkonformistische Kirchgänger waren, denen es der ausdrückliche Auftrag des Herrn war,  den Heiden das Licht der frohen Botschaft zu bringen.  Kurz: Indien bewirkte bei der regierenden britischen Klasse das Gefühl gut zu sein.   (27)Lord Curzon, Vizekönig im Jahrhundert zuvor, meinte, Indien sei “überhaupt die größte Sache, die die Briten je irgendwo unternommen hätten” und sollten sie es verlieren, würden sie umgehend in die Kategorie einer drittrangigen Macht abstürzen.

Disraelis Reformgesetze erweiterten das Wahlrecht auf jeden männlichen Haushälter im Wahlbezirk, und seine Regierung verabschiedete ein Ausbildungsgesetz, das eine Grundschulbildung für alle vorsah.  1896 brachte der Zeitungsmagnat (28)Alfred Harmsworth, der spätere Lord Northcliffe, seine Daily Mail auf den Markt, die erste britische Tageszeitung, die als Massenblatt auf diese neue  Leserschaft zielte. Northcliffe sorgte dafür, dass die Daily Mail vor allem als “Stimme des Empires” unter den Blättern Londons  hervortrat.   Die Daily Mail war 1896 gegründet worden, zwischen zwei imperialen Großveranstaltungen in London: Der Empire of India Ausstellung 1895 und dem Queen Victoria (29)Diamond Jubiläum 1897. Der Rivale der Daily Mail, The Daily Express, erschien  1900 und verkündete lauthals: “Unsere Ausrichtung ist patriotisch. Unser Glaube ist das Britische Empire.” Dieser Schlachtruf wurde dann von der Arbeiterklasse – der “Stimme der Tanzhallen”, wie man das nannte -  aufgesaugt.

Indien und das Empire hatten eben für alle Klassen einen besonderen Reiz:  Romantik und Exotik für die Oberklasse, eine Bühne für eifrige religiöse Bemühungen, finanzielle Investitionen und professionelles Können für die Mittelklasse,  und der Arbeiterklasse am Ende der sozialen Leiter bot es eine willkommene Entschuldigung für ihren Snobismus.   Mit dem Jahr 1897, als anlässlich der Feiern für das glorreiche Diamond-Jubiläum, der gesamte koloniale Glanz mit all seiner Exotik in Londons Straßen aufmarschierte wie bei einem römischen Triumphzug, war das Empire längst zu einer Art Opiat für die Briten geworden, ein Rauschgift, ohne das sie nicht mehr auskommen konnten.  Schon in den späten Achtziger Jahren gab es Stimmen in der Liberalen Partei, die meinten, die Partei müsse diese Tatsache berücksichtigen, wenn sie nicht untergehen wollte. (30)Archibald Primrose, der 5. Earl of Rosebery, stand an der Spitze dieser Bewegung. In einer seiner großen Reden als Außenminister 1893 forderte er sogar ein noch größeres Empire:

    Wir sind dabei, unsere Gebietsansprüche für die Zukunft festzuklopfen. Dabei müssen wir weniger berücksichtigen, was wir jetzt wollen, sondern was wir in der Zukunft wollen werden. Wir müssen bedenken, welche Länder entweder von uns, oder von irgendeiner anderen Nation entwickelt werden müssen…Denken Sie daran, dass  die Aufgaben des Staatsmannes nicht nur in der Gegenwart, sondern in der Zukunft liegen.  Wir müssen weit über das Stammtischgerede und die parteilichen Leidenschaften hinaus blicken und die Zukunft der Rasse im Auge behalten, deren Treuhänder wir sind und wir würden – so meine ich jedenfalls – dem Auftrag nicht gerecht, der uns übertragen wurde, wenn wir vor der Verantwortung zurückschrecken und es ablehnen  würden, an der Aufteilung der Welt mitzuwirken, die nicht wir erzwungen haben, sondern die uns aufgezwungen wurde…wir sollten immer daran denken, dass es Teil unserer Verantwortung und unseres Erbes ist, darauf zu achten, dass die Welt – soweit sie von uns geformt werden kann – den Stempel unseres Volkes trägt und nicht den eines anderen. (8).

Es ist aus verschiedenen Gründen sinnvoll, über seine Worte nachzudenken. Zunächst einmal haben wir hier einen Mann, der über seine Partei hinaus auf eine parteiübergreifende Auslandspolitik  schaut; Rosebery war der erste, der das tat. Als er Außenminister wurde, ärgerte er die Radikalen und Evangelikalen in seiner eigenen Partei, die noch an Gladstones alten moralischen Grundsätzen seiner Außenpolitik hingen, indem er als neuen Grundsatz außenpolitische “Kontinuität” verkündete: Er würde die Politik seines Vorgängers aus der Torypartei, Lord Salisbury,  fortsetzen. (31)Rosebery folgte damit dem Beispiel des großen Whig Außenministers Palmerstone 50 Jahre früher, dessen Glaubensbekenntnis lautete, Britannien habe “keine dauerhaften Freundschaften, nur dauerhafte Interessen.” Parteiinteressen sollten hinter nationalen Interessen zurückstehen. Aber wer sollte die nationalen Interessen definieren?

Balfour

(32)In einer Vortragsreihe, “Das Karma der Unwahrhaftigkeit, Band 1″, die in Englisch unter dem Titel “The Karma of Untruthfulness Vol. 1″ (hier KOU 1) erschien, wies Rudolf Steiner auf die Tatsache hin, dass die Macht in Britannien seit den Tagen von Heinrich VIII und Elizabeth in den Händen gewisser großer Familien gelegen hat. Steiner sprach von Rosebery in Verbindung mit Thomas Mores Utopia. More, sagt er, wurde eigentlich hingerichtet, weil er die Macht dieser Familien kritisierte. (33)Dazu gehörten die Familien des Lord Salisbury, des Lord Rosebery und des Lord Palmerston.  Steiner  nannte die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts die Zeit, in der die “imperialistische Strömung” die “puritanische” ablöste, damit meinte er die evangelikale bzw.  die nonkonformistische liberale Strömung. Des Weiteren deutete er darauf hin, dass in den 90er Jahren ein besonderer Ausschuss im Kabinett gebildet wurde, der sich um die imperiale Verteidigung kümmern sollte, und dass sich damit ein Element undemokratischer Geheimniskrämerei in das britische parlamentarische System geschlichen hatte.  Dieser Ausschuss geht auf die Initiative von Arthur Balfour zurück, den Neffen von Lord Salisbury,  als er das Amt des First Lord of the Treasury im Kabinett seines Onkels einnahm. Diese Regierung blieb 20 Jahre lang im Amt, und als Salisbury 1902 abtrat, trat sein Neffe Balfour einfach in seine Fußstapfen als Prime Minister. Balfours Biograph Kenneth Young meinte, diese beiden Männer hätten “wie Einer gedacht wenn es um die Zukunft des Empire und das Pan Angelsachsentum ging…”.

Während der 20 Jahre dieser konservativen Regierung von Salibury und Balfour, hieß es, Britannien würde eigentlich vom “Hotel Cecil” regiert, d.h. von der Cecil-Familie, der Familie des Lord Salisbury, dessen Vorfahren schon  Außenminister von Königin Elisabeth und König Jakob I gewesen waren, und auch die Gründung des britischen Geheimdienstes leiteten. (34)Unter Elizabeth war die Schlüsselfigur der Cecils der Okkultist John Dee gewesen, der ursprüngliche Agent 007, wie er sich darstellte, zugleich der erste Ideologe des British Empire and Befürworter der britischen Regierungsgewalt über Nordamerika.  Auf Dees Betreiben und mit Hilfe von Dees navigatorischer Mathematik  wurde die erste britische Kolonie von (34)Sir Walter Raleigh (9) in Nordamerika gegründet.  (35)Arthur Balfour war ein hochkultivierter Mann, Philosoph und, wie sein Onkel, ein Amateurwissenschaftler. Er war auch ein Gründungsmitglied der Society for Psychical Research (Gesellschaft für Seelenforschung) und stand denen nahe, die sich mit Spiritualismus und Theosophie befassten. Das Studium seiner Biographie offenbart einen Meister des Untertreibung, der Intrigen und Geheimhaltung.   In den 1890er Jahren gründete er das Cabinet Office. Wenn das Finanzministerium Whitehalls Motor und Bremse der Regierung ist, schrieb Young, dann ist das Cabinet Office der Spiegel und die Leere im Herzen des Mechanismus. Wie bei einem Palimpsest, werfen all die “könnten seins” und “hätten sein können” der Regierungsmaschinerie ihre Schatten auf seine Oberfläche. (10). Mit anderen Worten: es war der erste Think Tank einer Regierung.  Balfour,  Prime Minister seit 1902,  reorganisierte   bald den Verteidigungsausschuss, den er  7 Jahren  früher gegründet, der sich aber während des Burenkriegs als nicht besonders effektiv erwiesen hatte. Nun machte er  eine solide, leistungsfähige Organisation daraus.

    Das Committee of Imperial Defence traf sich regelmäßig unter seiner Leitung und war bestrebt…eine Strategie zu entwickeln, die die künftigen Rollen der Armee und der Marine klar definieren sollte. Er wollte einen kreativen Mechanismus  im Herzen der Regierung aufbauen, dem nur bestimmte Minister und interessierte Größen angehören sollten und der von allen anderen Abteilungen unabhängig war. Es gab allerdings keine Arrangements die es dem Ausschuss ermöglicht hätten, geheimdienstliche Nachrichten zu sammeln oder seine Ansichten an die weiterzugeben, die daraufhin hätten handeln können (11).

Dieser Ausschuss, der “nur  bestimmten Ministern und interessierten Größen…”  vorbehalten war, war dennoch dazu da, die gesamten militärischen Mittel des Empire für den Krieg zu koordinieren, von dem Balfour glaubte, dass er kommen würde.  Sein Biograph bemerkt dazu:

    …zu Beginn der 90er Jahre (d.h. während der liberalen Regierung unter Rosebery 1892-5. TMB) wurde Balfour bewusst, dass die Zeit des Friedens aller Wahrscheinlichkeit nach zu Ende ging….Sowohl in seinen privaten Gedanken wie auch in der Öffentlichkeit des House (of Commons), begann Balfour ein zunehmendes Gespür für militärische Angelegenheiten zu entwickeln (12).

Balfour hatte eigentlich kein besonderes Talent für rein militärische Angelegenheiten, aber er hatte eine Begabung für  große Strategien und für die Außenpolitik;  da lag sein eigentliches Interesse und er war immer bemüht, die militärischen Fragen im Sinne seiner strategischen Absichten zu regeln.  Es ist bemerkenswert, dass sein Biograph kein Wort darüber verliert, was Balfour zu der Äußerung bewegt haben mag, die Ära des Friedens neige sich ihrem Ende zu. Er schreibt nur:  wo, wann und wie ein großer Krieg ausbrechen würde,… war ihm nicht klar, aber es hatte Anzeichen aus Deutschland, Frankreich und dem Fernen Osten gegeben, dass Krieg eine Möglichkeit war (13). Er erwähnt hier das bedeutendste Zeichen mit keinem Wort, nämlich dass seit 1890, nachdem der deutsche  Kaiser Bismarck entlassen hatte, Frankreich  Russland mit dem Ziel umwarb, ein Bündnis zu schließen, und dieses französisch-russische Doppelbündnis wurde dann auch 1893 unterzeichnet. Salisbury, Rosebery und Balfour waren sich alle darüber im Klaren, dass sie mit dem stetigen Anwachsen britischen Territoriums in Afrika und anderswo  Verbitterung  und Feindseligkeit hervorriefen.  Aber diese Tatsache nahmen sie einfach hin und fuhren ungerührt fort, ihr Territorium zu vergrößern und entsprechend zu planen (siehe dazu Roseberys Aussage 1893 zum Festklopfen der Gebietsansprüche, wie bereits zitiert).

Balfours ‘Angelsächsischer Staatenbund’

1908 schrieb Theodore  Roosevelt Balfour einen Brief, aus dem hervorgeht, dass er Balfours neuesten Vortrag zum Thema (36)’Dekadenz” gelesen haben musste. Dadurch wurde Balfour veranlasst,  1909 in einer ausführlichen Antwort an Roosevelt seine Zukunftsvisionen im Einzelnen darzustellen.  (37)Überschrift des Briefes: Die Möglichkeit eines Angelsächsischen Staatenbundes  und er war an den britischen Botschafter geschickt worden. Er befindet sich in den königlichen Unterlagen und es kann gut sein, dass König Edward VII ihn gesehen hat.  Balfour spricht zunächst davon, dass ein solcher Staatenbund wahrscheinlich vorläufig nicht  verwirklicht werden kann, solange nicht eine andere Macht in der Welt auftritt, die eine Annäherung Englands und der USA unter Verteidigungsgesichtspunkten wichtig machen würde. Es sei, schrieb er, von überragender Bedeutung, dass die USA im kommenden Jahrzehnt England wohl gesonnen sei (14). (d.h. bis 1919, als der Vertrag von Versailles unterzeichnet wurde – TMB). Er beschreibt sich selbst als jemanden, der grundsätzlich die Imperial Preference (damit ist ein Freihandelsblock zwischen den weissen, englisch sprechenden Ländern des Weltreiches gemeint) bevorzugt, dass aber Deutschland diese nicht anerkenne und seine Marine ausbaue, um sie zu verhindern, und dabei den Status der bevorzugten Nation für sich beanspruche und die Welt gegen Britannien aufbringe.  Er schreibt an den Botschafter, es sei gut, Roosevelt noch vor seiner Abreise nach Europa

      von der  Möglichkeit eines Angelsächsischen Staatenbundes zu überzeugen. Er würde dann, sollte er das nicht ohnehin schon tun….die europäischen Fragen durch eine Brille sehen, die schon durch diesen Gesichtspunkt gefärbt ist und nicht durch einen anderen, wie z.B. den eines deutsch-amerikanischen Bündnisses…. Roosevelt könnte so leicht auf die Idee kommen, die Grundlagen für eine anglo-amerikanische Verständigung zu legen(15).

Dann schreibt er weiter, die Welt würde in der Zukunft einigen wenigen Großmächten gehören:

    Ein  Weltfrieden wird nur dann erreicht werden, wenn diese Großmächte die Welt unter sich aufgeteilt haben…oder wenn eine Nation allen  anderen eindeutig überlegen sei… Menschen, die nach vorne schauen und fähig sind,  die wesentlichen Faktoren zu erfassen, die die künftige Weltordnung beherrschen werden, könnten nun einen tief greifenden Einfluss auf die politische Zukunft der Welt ausüben (16).

Er schrieb, Technologie – ein Thema an dem Balfour als begeisterter und scharfsinniger Zeitgenosse außerordentlich interessiert war – würde zu  wachsendem Pannationalismus und  zu  Gruppierungen nach Rassen führen. Heute nennen wir diese Gruppierungen Handelsblöcke. Kleine Nationen, wie die Länder des Balkans oder die südamerikanischen Republiken würden untergehen. Russland würde auf jeden Fall eine unverwundbare Supermacht werden. Deutschland würde die Vorherrschaft in Europa anstreben und Teile von Holland, der Schweiz und Dänemark übernehmen. Er sagte einen Lateinischen Staatenbund voraus, der ein Gegengewicht zu dem Germanischen schaffen würde; so ein lateinischer Staatenbund scheint nicht zustande gekommen zu sein, obgleich unter den Architekten des Projekts Europa zweifellos einige gewesen sind, die daran gedacht haben.  Er versicherte,

    dass kein europäisches Volk in der Lage sei, die asiatischen Völker zu absorbieren. Diese müssten sich eigenständig entwickeln. Vorher würden sie jedoch wohl für kommerzielle Zwecke ausgebeutet werden (17).

Ein modernisiertes Japan und China, meint er, werde wahrscheinlich ein asiatisches Reich schaffen, das dann auch Indien umfasst.  Er sprach davon, dass sich Britannien wohl nach und nach aus Indien zurückziehen werde, ein Prozess der aber keine Störung der Handelsbeziehungen zwischen England, Indien und Ägypten nach sich ziehen würde, selbst dann nicht, wenn die Autonomie praktisch abgeschlossen sei (18). Darin liegen die Keime des künftigen britischen Commonwealth – ein Plan die früheren Kolonien des Empire fernzusteuern.  Die Großmächte, fuhr er fort,  würden eine reformierte Türkei auf Kosten von Russland unterstützen. Afrika könnte nie zur Heimat der weißen Rasse werden, denn es gehöre schon

    vielen Millionen Menschen einer minderwertigen schwarzen Rasse, mit der Weiße nicht gleichberechtigt zusammen leben und arbeiten könnten. Afrika nördlich von Sambesi (das ist der Teil, dem angeblich mehr oder weniger die Bodenschätze fehlen – TMB) – wird den Negern übergeben werden…und den Mohammedanern (19).  

Die Welt war im Begriff sich nach Rassen aufzuteilen, meinte Balfour, aber es gäbe bestimmte Gegenden, wie etwa Südafrika mit seinen ausgedehnten Gold- und Diamantenvorkommen, und Australien, hinter denen Japan und Deutschland her waren. Diese sollten schnell mit Angelsachsen bevölkert und durch eine unbesiegbare Seestreitmacht geschützt werden. Aber Balfour wusste auch, dass die Royal Navy dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen war, und an dieser Stelle sollten die USA ins Spiel kommen. Die USA und Britannien, so argumentierte er, sollten sich verbünden, um

    ein mehr als gleichwertiges Gegengewicht zu den anderen großen Staaten der Zukunft zu bilden, und teilweise auch, um sich den unumstrittenen Besitz und die Entwicklung der noch dünn besiedelten Gegenden der Welt zu sichern (20).  

Sollte Britannien daran scheitern seine imperiale Vorherrschaft mit einer starken Marine durchzusetzen, würden Japan und Deutschland Australien und Südafrika einnehmen.

    Sollte sich Amerika entscheiden, seinen Schicksalsweg allein zu gehen, schrieb er weiter, müsste es sich entweder mit seinen gegenwärtigen Grenzen zufrieden geben und könnte damit nicht mehr wirklich in der Weltpolitik mitreden…oder es müsste einen Weg der Eroberungen einschlagen (21).

Er wies darauf hin, dass die USA ja schon in den Philippinen, in Cuba und Panama so vorgegangen sei. Die Gefahr sei eben – um es unverhohlen auszusprechen -  dass Amerika sich nur auf Kosten Britanniens ausdehnen kann…

      Wenn England und Amerika nicht langsam zusammenkommen, steht fest, dass der Panama Kanal zur andauernden Quelle von Reibereien zwischen den beiden Rassen wird (22).

Balfour versichert, die beiden Völker hätten durch Streitereien nichts, durch ein Bündeln ihrer Kräfte aber alles zu gewinnen: Die Rasse, die Sprache, die politischen Ideale und die Geschichte seien alle einem Zusammengehen förderlich.

    In einem losen Staatenbund würde keiner seine Eigenart opfern müssen. Zu dem Nationalgefühl von  Engländern, Amerikanern, Kanadiern, Südafrikanern und Australiern käme dann nur ein gemeinsamer angelsächsischer Patriotismus hinzu… sollten sich aber England und Amerika nicht verbünden, wird die Weltgeschichte auch weiterhin eine kriegerische bleiben, denn eine Reihe von Mächten wird um die Vorherrschaft kämpfen…würden sie sich aber gegen den Rest der Welt verbinden, wären sie unangreifbar…Solch ein Bündnis bedeute ein Seeimperium, das keine Landgrenzen zu verteidigen habe. Ihm würden die dünn besiedelten Gegenden und alle Meere gehören… Das Federal Council hätte nur mit Prioritätsfragen und… Verteidigung… zu tun. Die dauerhafte Einrichtung einer Regierung sei nicht erforderlich…ein solches Bündnis sei praktisch unbezwingbar und würde die Welt beherrschen…Es würde praktisch dem Rest der Welt den Frieden von See her befehlen…das Gleichgewicht der Kräfte wäre auf Dauer gestört (23).

Balfour glaubte nicht, die Öffentlichkeit sei schon soweit, diese Szenario akzeptieren zu können, aber  er meinte, der Weg dahin könne schon mal geebnet und die Menschen mit dem Gedanken vertraut gemacht werden. (38)Der große amerikanische Publizist Walter Lippman schrieb beispielsweise 1915, der amerikanischen Außenpolitik drohe noch eine echte  Katastrophe, wenn sie nicht  eine Vision für die angloamerikanische Zukunft vorlegen könne (24). Balfour beendet seinen Brief an Roosevelt, indem er an Roosevelts Stolz appelliert:

    Es passe doch bestens in Roosevelts Karriere, wenn er einmal als der eigentliche Urheber des größten Staatenbundes, den die Welt je gesehen hat,  in die Geschichte eingehen würde (25).

Balfours Biograph hält fest:

    “…es war ein kühnes, visionäres Vorhaben… aber nicht bloß ein idealistischer Traum. Es war tatsächlich eine Weiterentwicklung des Römischen Friedens, in dem der Frieden (in Balfours Worten) ‘legated’(ein römisches Wort), also dem Rest der Welt verordnet werden sollte… nicht durch marschierende Legionen, sondern von See aus.

Mit dem für die Mitte des letzten Jahrhunderts typischen antideutschen Vorurteil, schreibt Young dann:  Hätte ein Deutscher diesen Plan gehabt,  man hätte dahinter wohl ein  geradezu typisches, übersteigertes Weltmachtstreben gesehen, Balfour dagegen wusste, dass er auf eine Verminderung   britischer Macht hinauslaufen würde.

    Zweifellos aber glaubten Balfour (und Rosebery), dass britisches diplomatisches Geschick und Talent zum (gelegentlich (!) unaufrichtigen) Kompromiss schon dafür sorgen würden, (dass Britannien) in einem solchen Bund nicht untergehen würde, ja, sogar in Anbetracht der noch weitgehend unerprobten amerikanischen Diplomatie wohl die eigentliche Führungsmacht bleiben würde (26).

Young beschreibt diesen Brief an Roosevelt als seine tiefste politische Überzeugung enthüllend, (39)und in einer Rede vor einem elitären anglo-amerikanischen Publikum anlässlich eines Abendessens der Pilgrims Society in London 1917, als er Außenminister im Kriegskabinett war, verkündete Balfour auch wirklich:

    Freiheit haben wir ebenso wenig durch Sie kennen gelernt, wie Sie sie durch uns kennen gelernt haben. Wir entstammen beide denselben Wurzeln…. Gehören wir nicht für immer zusammen? Werden unsere Nachfahren, wenn sie einmal auf diese einzigartige Epoche in der Weltgeschichte zurückschauen denn nicht  sagen, dass, neben all den unberechenbaren Umständen, die sie hervorgebracht hat, doch vielleicht  der  beste und dauerhafteste sei, dass sie uns zusammengeschweißt hat, vereinigt in einem gemeinsamen Ziel, in einem gemeinsamen Verständnis – die zwei großen Zweige der englisch sprechenden Rasse?…. Dieses Thema beherrscht meine Gedanken Tag und Nacht. Es ist ein Thema, dass mich mehr bewegt, so scheint mir, als irgend etwas anderes im Zusammenhang mit öffentlichen Angelegenheiten in meiner ganzen langen Erfahrung (27).

Obgleich die USA im 18. Jahrhundert  weitgehend auf britischen Grundlagen aufgebaut war, strebte sie doch im 19. Jahrhundert danach, sich ganz und gar von der Abhängigkeit von Britannien zu emanzipieren. Aber am Ende des Bürgerkrieges 1865 und mit dem Tod des antiamerikanisch eingestellten Lord Palmerston im gleichen Jahr,  erkannten diejenigen, die das Staatsschiff Britannia lenkten, dass die USA sich nicht mit der traditionellen britischen Methode des “teile und herrsche” würde beherrschen lassen.  (40)Man entschloss sich lieber zu schlichten, und  sich letzten Endes sogar wieder mit den USA  zu vereinigen, um ihr den eigenen aristokratisch und oligarchisch orientierten, zutiefst undemokratischen Geist auf Grundlage angeblicher rassischer Überlegenheit wieder einzuflößen.

(41)Rudolf Steiner wies auf einen inneren Zusammenhang der Ereignisse von 1840 und den Jahren des Ersten Weltkriegs hin. Er betrachtete den Krieg als eine Konsequenz des Materialismus der 1840er Jahre; insbesondere bezog er die Jahre 1841 und 1917 so aufeinander, dass sie sich gegenseitig spiegelten, mit dem Jahr 1879 als Achse im Sinne eines ‘historischen Gesetzes’, das er so beschreibt, dass besonders bedeutsame Jahre in der Geschichte als Achse wirken und die Jahre zu beiden Seiten dieser Achse sich gegenseitig spiegeln. So sagt er zum Beispiel, die geistigen Ereignisse des Jahres 1878 spiegelten sich in den irdischen Ereignissen von 1880 und so weiter in beide Richtungen vom Achsenjahr aus betrachtet. In diesem Sinne spiegelten sich die geistigen Ereignisse von 1841 in den äußeren Geschehnissen von 1917.

1847 schrieb Disraeli seinen Roman Tancred, in dem es an einer Stelle heißt: Alles ist Rasse. Es gibt keine andere Wahrheit. Auch in anderen Romanen drückt er dieselbe Botschaft aus.  1860 schrieb er seiner Freundin Mrs. Brydges Willyams:

    Was bereitet sich vor? In Österreich vielleicht eine größere Revolution als es sie je in Frankreich gegeben hat. Damals ging es um die Menschenrechte; jetzt geht es um die Rechte der Nationen. Ich schrieb einmal in ‘Coningsby’, es gibt nichts anderes als die Rasse; sie enthält alle Wahrheiten. Die Welt wird diese schreckliche Wahrheit nun begreifen (28).  

Letzten Endes steht hinter dem angloamerikanischen  Machtstreben der Rassismus, der selbst wiederum das Ergebnis des Materialismus ist, welcher  sich in Britannien mindestens seit den Tagen von Heinrich VIII zusammenbraute.  Für einige Angloamerikaner aus der Ära König Edwards, die sich selbst “Rassepatrioten” nannten, wie etwas Balfour, Rosebery und Roosevelt,  zählte tatsächlich die physische Rasse. (42)Für die Weitsichtigeren, wie etwas Lord Alfred Milner, ging es um die überragende Bedeutung der Werte der Rasse.  Milner schrieb in seinem “Credo”:  

    Mein Patriotismus kennt keine geographischen, sondern nur rassische Grenzen. Ich bin Imperialist und nicht ein Kleiner Engländer, denn ich bin ein britischer Rassenpatriot. Es ist nicht so, als hätte der  Boden Englands… meine Vaterlandsliebe bewirkt, es geht um die Sprache, die Traditionen, das geistige Erbe, die Prinzipien, die Ziele der britischen Rasse…(29).

 (43)Das ist die moderne Form angloamerikanischer Vorurteile, die man häufig im Economist antrifft, in Foreign Affairs und in vielen Hollywoodfilmen. Man könnte die Sache so zusammenfassen:

“…aber bitte, lasst doch die Menschen verschiedener Rassen zusammenarbeiten;lasst uns die Türen der Immigration öffnen, aber bitte nur solange diese Menschenunterschiedlicher Rassen auch anständige angloamerikanische Ideen in ihren Köpfen haben… (29).

Rosebery

Balfour, der Konservative, der sich selbst als liberal beschrieb, und Rosebery, der ein Liberaler war,  unterschieden sich im Alter nur um ein Jahr,  hatten einen sehr ähnlichen Hintergrund und glichen sich sogar im Charakter – beide waren hochintelligent und wortgewandt, kultiviert, überlegen, träge und  unphysical – dennoch mochten sie einander nicht.  Aber ihre Familien standen sich nahe;  sie bewegten sich in denselben Kreisen um den Prinzen von Wales; hingen beide der imperialistischen und Panangelsächsischen Sache an und beide blieben trotz ihres Imperialismus dem Freihandel verbunden, lehnten Joseph Chamberlains Bewegung für Imperial Preference, Protektionismus und Zollreform nachdrücklich ab, die von vielen in der konservativen Partei aufgegriffen worden war. In diesem Fall blieben Balfour und Rosebery ihren Kontakten in die City of London verbunden, und befürchteten dass imperialer Freihandel und Zollschranken Britannien von Amerika trennen würden. Sie glaubten an die angloamerikanische Zusammenarbeit und träumten sogar von einer künftigen gemeinsamen politischen Verfassung. Hier steht also Rosebery, ein Mann aus der Mitte des britischen aristokratisch-politischen Establishments,  Lieblingspolitiker der Queen Victoria, in seiner Ansprache als Rektor der Universität Glasgow am 16. November 1900, und stellt sich vor, was geschehen wäre, wenn der Earl of Chatham, William Pitt der Ältere, das House of Commons nicht als Prime Minister verlassen hätte; es hätte Amerika für das Empire gerettet, er sagt:

    Und wenn dann schließlich die Amerikaner in der Mehrzahl gewesen wären, wäre vielleicht der Sitz des Empire feierlich über den Atlantik bewegt worden, und Britannien wäre zur historischen  Gedenkstätte und zum europäischen Außenposten des Weltreichs geworden. Es wäre die imposanteste Machtübergabe gewesen, die die Welt je gesehen hätte. Unser Vorstellungsvermögen kann sich diese Prozession über den Atlantik kaum ausmalen, der größte Herrscher mit der größten Flotte des Universums (!), Minister, Regierung, Parlament legen feierlich ab  mit Kurs auf die andere Erdhalbkugel…unter der herzhaften Umarmung der Neuen Welt (30).

(44)Rosebery insbesondere war erheblich in dieser Neuen Welt investiert – im Silberbergbau in Montana -  nicht zuletzt durch seine Ehe mit Englands reichste Frau – (44)Hannah Rothschild (Disraeli, ein Freund der Rothschildfamilie und auch des Großvaters Lord Rosebery, der Lord Stanhope, Kaspar Hausers Pflegevater,  übernahm die Rolle des Brautvaters bei ihrer Hochzeit).  Während des Ersten Weltkriegs und danach sollte Balfour eine Schlüsselrolle bei der Verknüpfung der britischen und amerikanischen Außenpolitik spielen, wie auch bei der Einrichtung des Völkerbundes zusammen mit seinem Neffen, Lord Robert Cecil, Lord Salisburys Sohn.  Außerdem machte Rosebery auch als historischer Schriftsteller Reklame für die imperialistische Sache, indem er Biographien von führenden Imperialisten schrieb wie von Oliver (45)Cromwell,  William Pitt dem Älteren, von Lord Chatham, von Pitt dem Jüngeren und auch von Napoleon, die alle Bestseller wurden. Und Rosebery erklärte auch wirklich 1896 einmal, dass imperiale Zusammenschlüsse die große Leidenschaft seines Lebens seien (31).  (46)Roseberys Großvater mütterlicherseits war Kaspar Hausers Pflegevater, der 4. Earl of Stanhope gewesen und,  zusammen mit seinem Freund Edward Bulwer Lytton,  Mitglied des okkultistischen Orphic Circle in den 1830er Jahren. Stanhope war Geheimagent, Amateurhomöopath und lebenslang ein eifriger Erforscher des Okkulten, zudem spielte er seine Schlüsselrolle in der Tragödie Kaspar Hausers.  Bulwer Lytton und Stanhope sehr nahe  stand der junge Dandy  und ehrgeizige Politiker Benjamin Disraeli; er war auch in deren spiritistische Sitzungen involviert, und es war der Aristokrat Bulwer Lytton der den sozial nicht privilegierten Disraeli in die Gesellschaft einführte.  Rudolf Steiner sagte:

    “Lord Rosebery ist nun gerade nach dieser Richtung hin an und für sich nicht eine bedeutende Persönlichkeit…” (aber er war ein Mann, hinter dem verschiedene Gruppen standen)…Was sich da in okkulten Brüderschaften als eine feste Lehre gebildet hatte, muss man in Lord Roseberys Ausspruch wiederklingen hören; denn es handelt sich darum, auf die richtigen Stellen hinzuschauen.” (32)(GA 173, 111f).

Der frühe Tod seiner Frau 1890 scheint Rosebery dann ziemlich umgehauen zu haben und sein vorher schon nicht besonders ausgeprägter Eifer, sich energisch in der praktischen Politik einzusetzen,  hatte nun noch weiter abgenommen.  Gladstone musste ihn geradezu bitten 1892 Außenminister zu werden.  Nach 1895 hätte sich die liberal-imperialistische Gruppierung innerhalb der Liberalen Partei, Lord Grey eingeschlossen, sehr gewünscht, Rosebery möge die Partei fest in die Hand nehmen und wirklich führen, aber Rosebery zog es vor, allein auf weiter Flur zu stehen, wie er es nannte.  Den Widerstand aus den Reihen der klassischen liberalen Strömung in der Liberalen Partei völlig niederzuschlagen, verlangte ihm zuviel Kraft ab. Er hielt weiterhin einflussreiche Grundsatzreden, aber mehr aus dem Abseits, wurde aber nach 1905  immer blasser in der politischen Szene und zog sich schließlich in seine Villa bei Neapel zurück.  In einer Reihe von eleganten und leidenschaftlichen Reden in shakespeareschem Ton, die in den Ohren gebildeter Engländer brannten,   fuhr Rosebery fort die Liberale Partei zu beschwören, ihre alte Gleichgültigkeit gegen Empire und Kolonien doch abzulegen.  Hier eine Kostprobe seiner Rhetorik vom November 1900 vor den Studenten der Universität von Glasgow über das britische Empire:

    Wie wunderbar das doch alles ist! Nicht von Heiligen und Engeln erbaut, sondern von Menschenhand…und doch nicht allein Menschenwerk, denn selbst die Gleichgültigsten und Zynischsten müssen da  den Finger des Höchsten erkennen. Wachsend wie Bäume wachsen  während andere schlafen,  genährt durch die Fehler der anderen wie auch durch den besonderen Charakter unserer Vorväter,  glitten die Wellen der ruhelosen Flut über Landgebiete und Inseln und Kontinente bis unser kleines Britannien erwachte, um sich als Pflegemutter von Nationen wieder zu finden, als Ursache für miteinander verbundenen Imperien. Sollen wir darin denn  nicht weniger die Energie und das Glück einer Rasse, als die höchste Führung des Allmächtigen selbst sehen? (33).

 Solche Eloquenz spricht den britischen Sinn für das Dramatische an.

Von Rosebery wurde oft behauptet er sei in den 1890er Jahren pro-deutsch eingestellt gewesen – und er war auch tatsächlich ein Freund von Herbert von Bismarck, dem Sohn des Eisernen Kanzlers und bewunderte die Stärke von Herberts Vater – und er kritisierte natürlich das Bündnis mit Frankreich 1904; er sagte, es würde wahrscheinlich eher “zu Komplikationen führen” als zu Frieden, aber Taten sprechen eine deutlichere Sprache als Worte; er sprach sich nämlich nur in der Öffentlichkeit gegen das Bündnis aus. Hätte er es wirklich für einen katastrophalen politischen Schachzug gehalten, hätte er sich bestimmt auch weiterhin dagegen ausgesprochen, aber es ist bedeutsam, dass er das nicht tat, und als der Krieg gegen Deutschland 1914 kam,  wollte er ihn  ebenso fanatisch wie alle anderen ganz entschieden gewinnen. Obgleich es Rosebery nicht gelang, die Liberale Partei vollständig in eine Partei  imperialistischer Freihändler zu verwandeln – im Gegensatz etwa zum “Kleinen Engländer” oder isolationistischen  Feihändler – hatte er doch eine starke Fraktion innerhalb der Partei geschaffen und hatte insbesondere das Trio von Freunden inspiriert, das die Liberale Regierung nach 1905 beherrschen und Britannien in den Ersten Weltkrieg führen sollte: (47)Asquith, Haldane und Grey.

Bevor ich mich nun Sir Edward Grey zuwende, muss ich noch einmal einen Sprung zurück in das moderne Amerika machen. Die heutigen Befürworter eines Gleichgewichts der Kräfte, gewöhnlich gehören sie  zum rechten Flügel, möchten Vorherrschaften abschaffen und nehmen da gerne das Britannien des 19. Jahrhunderts als ein Beispiel. In Wirklichkeit hat aber Britannien sowohl das Modell der Vorherrschaft (im Sinne einer ‘splendid isolation’), wie auch das eines Gleichgewichts der Kräfte (die Vorstellung von der freien Hand) in den Jahren 1902 – 07 aufgegeben, indem es sich mit Japan zusammentat und indem es Bündnisse mit Frankreich und Russland aushandelte. Trotz der oft wiederholten Behauptung von Sir Edward Grey, Großbritannien hätte als Ergebnis dieser Vereinbarungen immer noch “eine freie Hand”, und bemühe sich noch um ein Gleichgewicht der Kräfte, war Großbritannien in Wirklichkeit längst  einer Seite verpflichtet, und eine Untersuchung der  wirtschaftlichen, demographischen, geographischen und militärischen Faktoren zeigt, dass ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten des Dreierbündnisses Großbritannien, Frankreich und Russland entstanden war.  Wie (48)Col. A. House, Sonderbeauftragter von Präsident Wilson, dem Präsidenten am 29. Mai 1914  aus Berlin schrieb:

    …das wird eines Tages noch zu einer Katastrophe kommen… da gibt es zuviel Hass, zu viele Eifersüchteleien. Sobald England einverstanden ist, werden Frankreich und Russland Deutschland und Österreich  in die Zange nehmen. (Betonung: TMB). England wird Deutschland nicht völlig vernichtet sehen wollen, denn dann müsste es alleine mit seinem alten Erzfeind Russland zurecht kommen; aber wenn Deutschland daran festhält, seine Marine immer weiter auszubauen, dann wird England keine Wahl haben. (34).

Wenn man heute den Gedanken an  eine Vormachtstellung aufgibt, so argumentieren die amerikanischen Befürworter eines Kräftegleichgewichts,  vermeidet Amerika sowohl Ressentiments anderer Großmächte, wie auch Komplikationen und Konflikte, die sich aus der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit ergeben.  Auf diese Weise, so behaupten sie, könne Amerika hoffen, weiterhin wohlhabend zu bleiben und dabei doch einigermaßen dominant in der Welt. Allmählich sieht es so aus, als hätte die Bush Regierung sich für diese Strategie entschieden wenn sie nun diesen nationalen Raketenabwehrschirm aufbaut, der Amerika praktisch in eine insulare – oder eher noch abgeschirmte – Macht verwandelt, indem es sich mitsamt dem Rest der amerikanischen Hemisphäre unter diesen Schirm hocken will. Für den Spanisch sprechenden Bush junior ist  es ein vorrangiges Ziel seiner  Außenpolitik, die NAFTA herunter nach Zentral- und Südamerika auszudehnen – die Freihandelszone des amerikanischen Projekts (FTAA). Auf Dauer – und wir dürfen nicht vergessen, dass führende Außenpolitiker, wie schon Rosebery und Balfour, gerne langfristig denken – wird das ähnlich wie die EU, auf eine den gesamten Kontinent umfassende amerikanische Union hinauslaufen und damit einen alten Traum verwirklichen, der zurückgeht auf die Tage der frühen amerikanischen Republik, oder auch später dann auf Woodrow Wilson, dessen Sonderbeauftragter Col. House auch den Traum eines Panamerikanischen Paktes träumte.  (49)Er schrieb über die Vereinigung von Nord- und Zentralamerika in seinem Roman Philip Dru – Administrator, der 1912 erschien, und 1914 unternahm er Schritte zur Realisierung eines Panamerikanischen Paktes zwischen Nord- und Südamerika. Er behauptete, der Zweck davon sei es, ein Exempel zu statuieren, um den Krieg führenden europäischen Staaten zu zeigen, dass es einen besseren Weg gäbe, wie man nach dem Ende des Krieges vorgehen könnte, aber es darf wohl vermutet werden, dass, wenn die USA erst Südamerika unter seine Fittiche gebracht hätte,  dies Großbritannien wertvolle Dienste in seinem Krieg gegen die Mittelmächte geleistet hätte, ein Krieg den House von ganzem Herzen unterstützte.  (Nebenbei bemerkt, enthielt der Roman von House Philip Dru  ein Nachwort des Neffen von Sir Edward Grey, Albert, damals Generalgouverneur von Canada, in dem es um die Zusammenarbeit in der Industrie ging).  Während des Krieges arbeitete House in verschiedenen Angelegenheiten eng mit Grey  zusammen, und  gemeinsam mit (50)Lord Robert Cecil taten beide ihr Möglichstes, die Idee des Völkerbundes zu propagieren.  Am 21. Februar 1916 schrieb Col. House:

    mir kam der Gedanke, und ich habe ihn auch gegenüber  Grey ausgesprochen,… die britische Regierung könnte die amerikanischen Garantien mit übernehmen soweit es um deren amerikanische Kolonien geht. Das, so sagte ich ihm, wäre eine Möglichkeit (für Britannien – TMB) ein gern gesehenes Bündnis zustande zu bringen, gern gesehen nicht nur in den USA, sondern in der ganzen westlichen Hemisphäre…Grey….meinte, das sollte geschehen (35).

Hier sehen wir, wie House versucht, Britannien und Teile seines Empire mit dem US-dominierten Panamerikanischen Pakt zu verbinden. 1939, am Rande des Krieges, veröffentlichte Clarence Streit  seinen berühmten Aufruf für eine transatlantische Union, und erst vor kurzem forderte Gordon Brown, der britische Kanzler, den transatlantischen Freihandel, der die EU mit der NAFTA verbinden würde,  wohl wissend, dass seit einer Dekade oder länger, eine ganze Anzahl von Komitees  und Organisationen damit beschäftigt sind, diese beiden miteinander zu verbinden.

(51)Unterdessen können wir auch sehen, wie sich Amerika bemüht, die Zustimmung der Russen zu ihrem Raketenabwehrschirm zu erreichen, und wie die NATO immer weiter nach Osten in die Balkanstaaten vordringt, um Zentralasien näher zu kommen, wo westliche Firmen versuchen, die Kontrolle über die gewaltigen Öl- und Gasreserven zu gewinnen, von denen es heißt, sie würden wahrscheinlich den Kriegsschauplatz des 21. Jahrhunderts abgeben.  (52)Für China erscheint dieses Vordringen des Westens in die chinesische Interessensphäre in Zentralasien einerseits und in die US-dominierte pazifische und amerikanische Hemisphäre andererseits, als sei China ähnlich wirkungsvoll eingekreist, wie Deutschland  1914. Für China wird vom Westen ebenso wenig ein Ausgleich geschaffen, wie Britannien das für Deutschland getan hat; China ist eingekreist, und ich würde sagen,  das wahrscheinlichste Ergebnis davon wird ein größerer Krieg in den nächsten etwa 10 Jahren sein, bevor China die Möglichkeit hat, sein politisches und wirtschaftliches System zu festigen, und ein wirklich schlagkräftiges, computerkontrolliertes, offensives, nukleares System von Interkontinentalraketen aufzubauen. Das US-Militär kann nicht viel tun im Hinblick auf die Volksbefreiungsarmee,  ebenso wenig wie das Britannien 1904 mit Bezug auf die deutsche Armee konnte, aber wenn das US-Militär wirklich 100 Jahre zurückblickt, und in China ein anderes imperiales Deutschland erkennt, dann wird man wahrscheinlich nicht dem Heranwachsen eines modernen China zuschauen wollen, wie schon damals nicht der kaiserlichen Marine in Deutschland.

  Sir Edward Grey

    Diejenigen, die die absolute Macht haben, beklagenswerte Ereignisse zu verhindern, und, im Bewusstsein dessen, was passiert, es ablehnen diese Macht auszuüben, sind verantwortlich für das was passiert. Lord Salisbury (36).

Während sich Balfour  beinah sein ganzes Leben lang in der vordersten Reihe der praktischen Politik engagierte,  war Rosebery dagegen ein eher zurückhaltender und zurückgezogener Politiker, der schließlich zu einem politischen Einsiedler wurde. Diese beiden Männer waren,  zusammen mit Lord Salisbury und Joseph Chamberlain, die größten britischen Politiker der 1890er Jahre.   Rudolf Steiner charakterisiert die englische Politik so:

    Da handelt es sich dann darum, die Wege zu finden, um die entsprechenden Menschen an die richtigen Plätze zu befördern. Okkultistische Menschen, im Hintergrunde stehend, sind oftmals bloße Einser und bedeuten für sich nichts Besonderes; sie brauchen noch etwas, was hinzukommt: sie brauchen Nullen…Fügt man noch weitere Nullen dazu, so wird, wenn die Eins irgendwo steckt, gar bald mancherlei daraus, zum Beispiel Tausend… Es handelt sich also darum, die Nullen in der entsprechenden Weise mit den Einsern zu kombinieren, wobei die Nullen nicht einmal viel zu wissen brauchen von der Art, wie sie mit den Einsern kombiniert sind. (37). (KdU Bd 1, S. 174f)

Rosebery war so eine Nummer 1. Vom Temperament her war er eher träge und hätte allein nicht viel erreicht, aber er war ein erfolgreicher Besitzer von Rennpferden und sprach so das rennsportbegeisterte Publikum an; schließlich liebten von der Oberklasse bis zur breiten Masse alle einen Sieger.  Die Leser von The Daily Mail,  eine die Zeitung, die “von Laufburschen für Laufburschen geschrieben” wird, wie Lord Salisbury einmal gönnerhaft anmerkte, hätten sich für Artikel wie sie dieser “Sportsgeist” Lord Rosebery  über das Empire schrieb, erwärmen können.  Als Literat hatte Rosebery vielerlei Verbindungen mit der Presse, die er auch gewissenhaft pflegte.  Er war den Herausgebern von The Times dabei behilflich, Korrespondenten für die Schlüsselpositionen in Berlin und Wien zu finden; einer seiner wichtigsten Vorschläge betraf  (53)Reginald Brett, Lord Esher,  vielleicht der heraus ragende “Deichsler” der  Ära Edwards, der die Verantwortung für den königlichen Haushalt übernehmen sollte und in dieser Position  zum engen Ratgeber von König Edward VII wurde. Roseberys größte Leistung war es jedoch – im Sinne Steiners – als die Nummer  Eins vor seinen drei Gefolgsmännern  – (54)den drei Nullen Asquith, Haldane und Grey – zu fungieren;  durch sie wurde er zur Nummer Eins für die vielen liberal-imperialistisch gesinnten Anhänger.  Es war ein Trio von guten Freunden. Haldane war der Denker, der sich viel mit deutscher Philosophie und Kultur beschäftigte; Asquith war der Frauenheld, der politische “Deichsler”, Opportunist und Vermittler, während Grey einfach seine Pflicht erfüllte, den starken, ruhigen Typen gab, den Mann mit Prinzipien, der von Außenpolitik wenig Ahnung hatte, dennoch aber allgemein für einen “Experten” gehalten wurde und dessen Leidenschaft dem Fliegenfischen im stillen Gespräch mit der Natur galt.

Während der gesamten 90er Jahre schulte Rosebery das Trio in den Lehren des Liberalen Imperialismus und brachte sie soweit, dass sie im Parlament als die Schlüsselfiguren der Liberalen Partei angesehen wurden, immer treu seine Ansichten vertretend. Aber nach 1902, nach seinem Entschluss, sich aus der aktiven Führung der liberal-imperialisten Gruppe zurückzuziehen, kämpfte das Trio auf eigene Faust weiter, nicht ohne allerdings immer mal  wieder wehmütig zurückzuschauen – vor allem Grey – und dem verlorenen Führer nachzutrauern.   

Die Spitze der Konservativen Partei, angeführt von Balfour und der Cecil-Familie, betrachtete das Trio als “zuverlässig” in Bezug auf den Freihandel, Irland und vor allem die Außenpolitik, und kein Liberaler galt als zuverlässiger als Grey. Schließlich war er Roseberys Beispiel gefolgt und hatte sich für das Prinzip der Kontinuität in der Außenpolitik entschieden.  Als Außenminister war er in die Fußstapfen seines Tory-Vorgängers (55)Lord Lansdowne getreten, der mit der “splendid isolation”  Schluss gemacht und Britannien hin zur französisch-russischen Allianz orientiert hatte. Die Atmosphäre  im House of Commons ist oft mit der in einem Aufenthaltsraum für die Schüler einer Eliteschule verglichen worden, und (56)Grey war vor allem deshalb als verlässlich angesehen, weil er so eine gute Figur machte und ganz hervorragend dem Bild des Gentleman entsprach.  Grey hatte  die Wykeham School und das Balliol College in Oxford unter seinem berühmtesten Leiter, Benjamin Jowett,  besucht. In Balliol war das Saatbeet des akademischen Imperialismus, und  für die Angehörigen der führenden Klasse im Parlament, von denen die meisten einen ähnlichen sozialen und bildungsmäßigen Hintergrund hatten,  bestand die Quintessenz von Greys Ruf darin, dass er durch und durch Engländer zu sein schien – ehrlich, schlicht, aufrecht, gut aussehend, direkt und verlässlich, und dieses Image das man in der Öffentlichkeit abgab, war für die Engländer dieser Epoche von großer Bedeutung – auch wenn sie vielleicht die Ersten gewesen wären, die das geleugnet hätten.

Rudolf Steiner beschrieb Grey als einen ehrlichen, netten Mann, der in seiner Weise das Wahre sagen will (38).(KdU Bd 1 S. 175) (57)Die britische sozialistische Aktivistin Beatrice Webb kommt zu einem ähnlichen Urteil wie Steiner; nach ihrem ersten Gespräch mit Grey im Februar 1902 schrieb sie: von schmaler Gestalt ist er eine charmante Erscheinung mit guten Manieren, ja eine wirkliche Persönlichkeit, aber ich fürchte doch, dass er nur Werkzeug für einen anderen ist (39).  Die deutsche Historikerin Margret Boveri war da großzügiger.  Sie schien etwas Wesentliches von Grey erfasst zu haben, als sie  1932 schrieb:

    Man kommt nie zum Kern dieses Mannes…er lebte ein Leben, das von Pflichterfüllung bestimmt war und er tat nichts aus sich selbst heraus, aus der Freude an der Ausübung des eigenen Willens. Er wartet ab in der Hoffnung, dass sich die Dinge schon von selbst ergeben. Er lässt alles auf sich zukommen; vieles kommt auch, und einiges davon greift er auf. Seine Bedeutung liegt in seiner Passivität, eine Passivität, die nicht der Schwäche, sondern einem eisernen Kern von Überzeugungen entstammt. Er ist im wahren Sinne des Wortes ‘liberal’, also nicht jemand der sich von oben oder von sonstwo herumkommandieren lässt, sondern er möchte es den Kräften ermöglichen,   sich aus sich selbst heraus frei zu entwickeln, einfach aus der Überzeugung, dass dieses Spiel der Kräfte mit allen Dissonanzen, die daraus entstehen, zu einer neuen Harmonie führen muss; und dass der Wert des Kompromisses darin liegt, dass man zu einem Einverständnis kommt, das Positive findet, das in jedem einseitigen Verfolgen eines Zieles liegt und es dazu bringt, sich mit einem anderen Positiven zu einer höheren Einheit zu verbinden. (40).

(58)In seinem  Buch “The Pity of War” fügt Niall Ferguson,  Historiker in Cambridge, diesem Bild von Grey einen weiteren wichtigen Aspekt hinzu, indem er Greys Leidenschaft für das (58) Fliegenfischen betont: Er zitiert aus Greys eigenem Buch über den Sport die Stelle wo er beschreibt, wie er einen 4 Kilo schweren Lachs an Land zieht:

    Es gab eigentlich keinen Grund, eine Katastrophe zu befürchten. Aber… mich überkam der entsetzliche Gedanke, dass sich die ganze Angelegenheit sehr lange hinziehen würde und dass am Schluss erst der schwerste Teil käme, nicht das Spiel mit dem Fisch, sondern ihn an Land zu werfen…  Es schien als ob jeder Versuch, den Fisch mit (meinem) Netz an Land zu werfen, eine Katastrophe auslösen würde, der ich nicht ins Auge sehen konnte. Ich versagte mehr als einmal,  und jedes Versagen war schrecklich… Für mich gibt es nichts, was mit der Erregung zu vergleichen wäre, einen unerwartet großen Fisch am Haken einer kleinen, guten Angel zu haben… (41)

Andere haben einen Zug zu Anarchismus und Risiko in Greys Charakter ausgemacht, gepaart mit einer verbissenen Sturheit.  Ferguson schreibt:

    Wir sollten lieber an diesen Grey denken, den aufgeregten, ängstlichen Angler am Ufer des Flusses, als an den gebrochenen Apologeten in den Memoiren, wenn wir die britische Außenpolitik in den Jahren von 1905 bis 1914 deuten wollen, aber er hält auch fest, dass der Vergleich in gewisser Weise irreführend ist. Denn bei seinem Umgang mit Russland und Frankreich war  wohl Grey der Fisch, den die anderen an der Angel hatten. (42).

Man kann also tatsächlich Grey als das Werkzeug ansehen, das andere benutzten um die Deutschen zu schlagen. (59) Diese Einschätzung wird durch einen scharfsinnigen Kommentar von Sir Roger Casement gestützt:

In der Tiefe seiner Seele ein friedliebender, gemüthafter, stiller Mann,  kam er in eine Machtposition, für die er gänzlich ungeeignet war, und das hauptsächlich aus diesem Grund.   Die Kräfte, die das Schicksal des Staates lenkten, konnten keinen fähigen Mann gebrauchen… ich würde ihn nicht als den Bösewicht des Stückes betrachten. Wie er einmal von sich sagte – er sei eine Fliege am Rad des Staates…eher Opfer als Verteidiger der Ziele des britischen Imperialismus. Diese Ziele standen schon fest und der Fahrer der Staatskutsche saß schon im Sattel als… Sir Edward Grey die Kutsche bestieg. Statt sie selbst zu lenken, war er als Passagier aufgenommen worden. (43).         

Grey und die Presse

 Eine rein akademische Frage ist: wer war der Fahrer, auf den Casement sich bezieht? Es ist nicht leicht einzuschätzen, wie selbstständig Grey außenpolitische Entscheidungen fällte, bzw. zu welchem Grad er bloß die Leere war, die andere ausfüllten.  Man muss bedenken, dass Grey nicht sprachkundig war und sehr wenig Erfahrung mit anderen Ländern vorweisen konnte.  Er wurde1905  Außenminister, reiste aber erst im April 1914 zum ersten Mal auf das europäische Festland. Davor war er nur einmal, 1897,  auf den Westindischen Inseln und noch 10 Jahre früher in Indien.  Er hatte weder enge Freunde im Ausland, noch überhaupt soziale Kontakte in andere europäische Länder. Er sagt selbst, er habe wenig Zeitung gelesen, The Times, den wöchentlich erscheinenden Spectator und die Westminster Gazette, die sein Freund Spender herausgab. Die beiden erstgenannten unterstützten im Allgemeinen die Konservative Partei und hatten ab 1896 eine ausgesprochen anti-deutsche Tendenz.  The Times hatte 1908 nur eine Auflage von 38.000, wurde aber von den oberen Zehntausend gelesen – ja, war eigentlich für sie geschrieben – und bestimmte Londoner Herrenclubs führten überhaupt keine andere Zeitung. Zu dieser Zeit, als jeder  sein gesamtes Wissen über das Zeitgeschehen fast ausschließlich der Presse entnahm, waren die Auslandskorrespondenten ganz wesentlich verantwortlich für die Meinungsbildung.  Und keine waren einflussreicher, als die der Times. (60)Zwei Schlüsselpersönlichkeiten der Times waren in den 90er Jahren der Manager C. F. Moberly Bell und der Auslandschefredakteur Mackenzie Wallace, beide standen den drei Machtzentren nahe: (61)dem Zentrum der offiziellen Regierung, das sich um die Cecil-Familie, Salisbury und Balfour drehte; dem inoffiziellen Zentrum, dem Kreis um Marlborough House mit dem Prinzen von Wales; und zwischen diesen beiden und im Zusammenhang mit beiden stehend: die einflussreichen Persönlichkeiten  der Londoner City -   die Barings, Rothschilds und Sir Ernest Cassel. Rosebery passte zwischen diese drei Zentren wie ein Irrlicht.

Lord Salisburys Außenpolitik war vor 1888, wenn überhaupt, eher dem Dreierbündnis zugeneigt, aber endgültig blockiert wurden die englisch-deutschen Beziehungen erst durch Südafrika.  Sein Gold,  seine Diamanten und seine strategische Lage führten dazu, dass die britische Führungsspitze es als lebenswichtig für die britischen Interessen beurteilte. Man beschloss, das alles den Buren abzunehmen und alle Konkurrenz außen vor zu halten. Eigentlich gab es gar keine Konkurrenz außer Deutschland,  das beträchtlich investiert war und  auch nahe gelegene Kolonien besaß. 1896 führte der von Cecil Rhodes  inszenierte Putschversuch in Südafrika, der den Buren die Macht entreißen sollte,  zu einer großen Auseinandersetzung zwischen Britannien und Deutschland. Wir wissen heute, dass Joseph Chamberlain,  zuständiger Minister für die Kolonien,  tief in diese Verschwörung verwickelt war, aber der Presse, angeführt von  der Times,   gelang es, die nationale Aufmerksamkeit von diesem Vorwurf und der Gefahr für die imperialistische Sache abzulenken, indem sie sich auf ein törichtes Telegramm des Deutschen Kaisers stürzte, in welchem er dem Burenführer dazu gratulierte, den Coup unterdrückt zu haben. Damit hatte Wilhelm das große kommerzielle und finanzielle Interesse Deutschlands an Südafrika signalisiert und Britannien gewarnt, Südafrikas Reichtum nicht für sich zu beanspruchen – aber genau dazu waren die Eliten der britischen Imperialisten entschlossen.

Von diesem Jahr 1896 an wechselte die  Times unter Bell und Wallace in eine bemerkbar anti-deutsche Tonlage. In diesem Jahr stellte sie (62)George Saunders als Korrespondenten in Berlin an, einen Liberalen von der progressiven aber imperialistisch-evangelikalen Spielart, der 1888 von (62)W. T. Stead ausgebildet und nach Deutschland gebracht worden war, einem leidenschaftlichen Verfechter des angloamerikanischen Imperialismus und berühmt für seine Kampagnen als Herausgeber der Pall Mall Gazette und später von  der Review of Reviews.  Stead war außerdem seit langem Okkultist und stand Annie Besant und den Theosophen nahe; er verkehrte regelmäßig mit seiner eigenen spirituellen Führerin “Julia”. Rosebery kannte sowohl Stead wie Saunders gut. Saunders war ein Kenner Deutschlands, er hatte in eine reiche deutsche Familie mit guten Verbindungen geheiratet, aber er verabscheute das Land und war ein ungestümer liberaler Imperialist, ein aufrechter aber sehr getriebener, besessener Mann. Saunders litt häufig unter seiner schlechten Gesundheit  und war überwiegend in seinen kämpferischen Vierzigern,  als er in Berlin arbeitete und von dort ein wahre Flut bissiger Artikel über Deutschland  schrieb, in denen er behauptete, die Deutschen hassten England und wünschten dessen Untergang.  Dazu konzentrierte er sich auf die deutsche Regenbogenpresse und ignorierte mehr oder weniger alle gemäßigten und pro-englischen Blätter.  Der amerikanische Historiker Oron J Hale schrieb, dass unter der Auswirkung von Buritis und Anglophobia,  auf die er auf allen Seiten traf, habe (Saunders) sein Gleichgewicht völlig verloren und seine Berichte seien häufig in Tiraden  gegen alles irgendwie Deutsche ausgeartet. (44) In seinem Buch Publicity and Diplomacy beschreibt Hale wie oft Saunders Berichterstattung wirklich unerträglich selektiv und vorurteilsvoll  war, ein Punkt, der heute von britischen Historikern zu häufig übersehen wird.

Den Engländern, die diese hetzerischen, aber gut geschriebenen,  anscheinend objektiven Berichte über Deutschland 12 Jahren lang Tag für Tag in ihren Clubs bei einem Glas Whisky lasen,  kann man kaum verübeln, dass sie selbst so etwas wie ein antideutsches Vorurteil entwickelten. Wenn sie das Land selbst nicht kannten, war ihnen dieser aktuelle Blick auf Deutschland der einzig mögliche. Sir Edward Grey war da keine Ausnahme. Wenn man Saunders Reden über Deutschland mit den Gedanken vergleicht, die Grey Jahre später über dieses Land aussprach, dann wird deutlich, dass Grey treu die Ansichten und manchmal sogar die Formulierungen und Bilder gebraucht, die Saunders benutzte, allen voran die Vorstellung, dass “alle uns hassen und beabsichtigen, unseren Platz einzunehmen”. In seinen Memoiren ehrt Grey dann auch Saunders für seine “Aufrichtigkeit und seine Kenntnisse”.  Die britischen Historiker, meist von Oxford oder Cambridge und dem Cecil Netzwerk nahe stehend, bemühten sich, Saunders zu entschuldigen und haben dazu oft den folgenden Kommentar vom damaligen deutschen Kanzler von Bülow zitiert:

    …diejenigen Engländer, die, wie Chirol und Saunders, aus persönlicher Beobachtung die Intensität und Tiefe dieser unseligen deutschen Abneigung gegen Großbritannien  kennen gelernt haben, sind die gefährlichsten für uns. Sollte die britische Öffentlichkeit sich über die  anti-britischen Gefühle, die in Deutschland derzeit herrschen, klar werden, würde sie die Beziehung zwischen Großbritannien und Deutschland mit Abscheu betrachten. (45).

Aber das war im November 1899 ausgesprochen worden, einen Monat nach dem Ausbruch des Burenkrieges, als die Deutschen über die britischen Aktionen wirklich wütend waren, genau wie die meisten Franzosen und Russen.  Natürlich mögen die Deutschen wegen der rassischen Nähe, die manche zu den Buren empfanden und aus Betroffenheit über die deutschen Investitionen in Südafrika,  noch verärgerter gewesen sein, als die anderen;  sie mussten eben erleben, dass Großbritannien tatsächlich versuchte, sich den gesamten Reichtum  Südafrikas anzueignen, und die Deutschen außen vor halten wollten.  Man sollte  von Bülows Wort “derzeit” beachten. Das ist aber etwas ganz anderes, als zu versichern,  die deutsche Nation hätte als Ganzes in der Zeit von 1890 bis 1914  die Engländer wirklich gehasst – aber genau das behauptete die deutschfeindliche Presse.

So wie Saunders auf dem Thema von Hass und Freundschaft herumgeigte, muss er Grey irgendwie angesprochen haben, denn in seiner Korrespondenz drückt Grey immer wieder seine Betroffenheit und Furcht davor aus,  die Freundschaft mit Frankreich oder Russland könnte zu Bruch gehen. Das nahm dann bei ihm manchmal zwanghafte Formen an, zum Beispiel als er 1907 eine militärische Musikkapelle des ältesten Regiments der britischen Armee, die Coldstream Guards,  daran hinderte nach Deutschland zu reisen aus Angst, das könnte die Franzosen ärgern und England die französische Freundschaft kosten.  

Grey und Leo Maxses ABC

Am 24. 11. 1901  – der Burenkrieg war noch im Gange – schrieb Grey an Leo Maxse, den fanatisch deutschfeindlichen Herausgeber der National Review. Maxse hatte sich nach einem Besuch bei Saunders in Berlin, spät im Oktober 1899, als der Burenkrieg gerade ausbrach,  zu seinem eigenen anti-deutschen Kreuzzug entschlossen. Grey schrieb:

    Es ist die Aufgabe der britischen Regierung, eine bessere Position zu erreichen und der erste Schritt dahin ist eine Verständigung mit Russland…der erste praktische Schritt ginge dahin, Vertrauen und direkte Beziehungen zu Russland aufzubauen, um in dieser Beziehung den deutschen Makler auszuschalten, der England und Russland auseinander hält und uns immerzu Provisionen abverlangt, während er uns gleichzeitig davon abhält, mit Russland in Geschäftsbeziehungen zu kommen.

Dieses Bild vom Makler und seiner Provision ist von Saunders unzählige Male wiederholt worden und sollte auch noch von Maxse unzählige Male wiederholt werden.  Greys Korrespondenz mit Maxse hatte 1893 begonnen, in dem Jahr als Maxse Herausgeber der National Review wurde, aber 1901 lud Maxse ihn zur Mitarbeit an einem wichtigen gemeinsamen Artikel  ein,  mit dem versucht werden sollte, einen Richtungswechsel in der britischen Außenpolitik zu erzwingen und ein englisch-russisches Bündnis zu erreichen, das dann den Weg für eine englisch-französische Entente bereiten sollte. Grey spielte bereitwillig mit.  (63)Valentine Chirol, verantwortlich für die Auslandsnachrichten  bei der Times, früher selbst Korrespondent der Times in Berlin, Sir Charles Hardinge, damals First Secretary  in der Botschaft in St. Petersburg, Sir Rowland Blennerhasset, ein liberaler Katholik, der der katholischen Führung des Landes nahe stand und ein alter Deutschenhasser, trugen ebenso bei, wie ein mysteriöser russischer Finanzmakler in London mit dem Namen Tatistcheff. Der Artikel wurde anonym im November 1901  in Maxses Magazin unter dem Titel British Foreign Policy by ABC & etc. (Britische Außenpolitik von ABC usw.), er wurde von Maxse weithin in allen außenpolitischen Kreisen verbreitet, zu Hause wie auch im Ausland, und er verursachte große Aufregung.

1902 führten Maxse und sein Freund Strachey vom Spectator (eine andere Zeitung, die Grey häufig las), mit der Unterstützung von Chirol und Saunders von der Times, eine  heftige anti-deutsche Pressekampagne an, mit dem Ziel,  jede Hoffnung auf eine englisch-deutsche Versöhnung oder Verständigung zu zerstören. Im Januar 1903 schrieb Grey dann an seinen Freund Henry Newbolt:

    Ich habe die Ansicht gewonnen, dass Deutschland unser schlimmster Feind ist und die größte Gefahr für uns… Die Mehrzahl der Deutschen hat eine so tiefe Abneigung gegen uns, dass eine Freundschaft mit ihrem Kaiser oder ihrer Regierung uns nicht wirklich nützlich ist…Ich glaube, die deutsche Strategie geht dahin,  uns zu benutzen ohne uns zu helfen, uns zu isolieren, um dann auf uns zurückgreifen zu können. Enge Beziehungen zu Deutschland bedeuten für uns schlechtere Beziehungen mit dem Rest der Welt (!), insbesondere mit den USA (!), Frankreich und Russland.

Von 1895 bis 1905 war Grey nicht in der Regierung und er reiste nie selbst nach Deutschland –  wie kam er also zu seinen Ansichten?  (64)Es ist bekannt, dass er ab 1902  für einige Jahre zusammen mit Maxse Mitglied einer informellen (dining-) Gruppe war, die sich (64)”The Coefficients” (Koeffizienten) nannte und einmal von den führenden  Fabian Sozialisten, Sidney und Beatrice Webb,  gegründet worden war.  The Coefficients waren was wir heute mit dem Begriff “think tank” (Denkfabrik)  bezeichnen würden.  Die Webbs suchten einen überparteilichen Weg, das Empire produktiver und sozialistischer zu gestalten –  so etwas wie einen Edwardianischen Dritten Weg, einen sozialen Imperialismus mit einem starken Beigeschmack von ursprünglichem Faschismus, mit rassischer Solidarität, einer verbesserten eugenischen Zucht der Massen, weitgehender Staatskontrolle und natürlich einer Welt, die für alle Zeiten vom britischen Empire beherrscht würde, das, dann mit Amerika verschmolzen, den Weltstaat ausmachen würde. Die Gruppe war absichtlich von den Webbs so gewählt, dass sie Mitglieder aller Parteien hatte und auch Koryphäen über das gesamte politische Spektrum hinweg,  wie die Webbs selbst, Bertrand Russel, H. G. Wells, Lord Robert Cecil, Balfour, Clinton Dawkins, der Finanzexperte der City, Lord Milners rechte Hand Leo Amery, Leo Maxse, Halford Mackinder, der Architekt der Geopolitik und Col. Charles Repington, Militärkorrespondent der Times. Grey war von Haldane hereingebracht worden und sollte der “Experte für Außenpolitik” sein. Greys Biographen neigen dazu,  diese Gruppe  leicht zu übergehen – Grey hat sie in seiner Korrespondenz nicht oft erwähnt – und sie kam tatsächlich auch bald in Schwierigkeiten, als ihre  Mitglieder nämlich nach Mai 1903 anfingen, über Zollreform und Imperial Preference  zu diskutieren, aber man traf sich weiterhin  und zog bis etwa 1909 auch hochrangige Teilnehmer an; Milner und Asquith nahmen beide gelegentlich teil.  In seinem Buch Experiment in Autobiography (46) (Versuch einer Autobiographie) kennzeichnet Wells Edward Grey als denjenigen bei den Treffen der Coefficients, der sich für die Strategie einsetzte, Deutschland dazu zu provozieren,  Frankreich anzugreifen, ohne es vor einer dann erfolgenden britischen Intervention entsprechend zu warnen, so dass Deutschland früher oder später außer Gefecht gesetzt wäre, solange die britische Marine noch überlegen sei, und Bertrand Russell hält in seiner Autobiographie fest:

    Eines Abends hielt Sir Edward Grey (damals nicht im Amt) eine Rede, in der er für die Entente-Strategie eintrat, die von der Regierung noch nicht verfolgt wurde. Ich brachte meine Einwände sehr deutlich vor und wies  auf die Wahrscheinlichkeit hin, dass sie zu einem Krieg führen würde, aber niemand stimmte mir zu, daher trat ich aus dem Club aus. (47).

Nichts von dem Beschriebenen passt zu dem unschuldigen, aufrechten Sir Edward Grey, mit dem die englisch sprechende Welt seit 80 Jahren die Vorstellung verbindet, er habe sein Bestes getan, um die schlimmen Deutschen davon abzuhalten,  1914 einen Krieg anzufangen, oder zu diesem Mann, der Britannien so zögerlich in den Krieg ziehen ließ, um Belgien zu verteidigen,  zu diesem zivilisierten, melancholischen Gentleman, der den berühmten Satz sprach von den Lampen, die nun in ganz Europa verlöschen.

Also bereits bevor er 1905 Außenminister wurde, waren Grey  die Ansichten geläufig,  wie sie  in der  Times und auf den Treffen der Coefficients ausgedrückt wurden, und keine dieser Ansichten war, zurückhaltend formuliert, deutschlandfreundlich. Keith Wilson, Geschichtswissenschaftler an der Universität Leeds mit dem Fachbereich Außenpolitik, argumentiert: “Furcht ist der Schlüssel zum Verständnis von Greys Außenpolitik”, und:  “eine Isolation zu vermeiden, war sein einziger Grundsatz” (48) – wie Ironie erscheint da, dass Grey  wie auch Rosebery gerade die Einsamkeit liebten, aber Wilson berücksichtigt Greys Mitgliedschaft bei den Coefficients nicht, wo eine weit reichende Agenda diskutiert wurde und die Rivalität zwischen Britannien und Deutschland oft in apokalyptischen Begriffen debattiert wurde. Wells argumentierte zum Beispiel:

        das Britische Empire muss entweder der Vorläufer eines Weltstaates sein oder gar nichts …  Es ist den Deutschen und Österreichern nur möglich, in ihrem Zollverein (tariff and trade bloc – TMB) zusammenzuhalten, weil sie wie eine geballte Faust in der Mitte Europas sitzen.  Aber das britische Empire war wie eine über die ganze Welt geöffnete Hand. Es war keine natürliche ökonomische Einheit und es konnte auch keine künstliche ökonomische Einheit aufrecht halten.  Seine eigentliche Einheit besteht in dem Zusammenwirken großer Ideen, wie sie in der englischen Sprache und Literatur verkörpert sind. (49).

Es ist nicht schwer einzusehen, wie solche Ansichten, die schon 1902, 1903  in den Kreisen der britischen Eliten gegenwärtig waren, sich zur Kriegspropaganda entwickeln konnten, wo dann behauptet wurde, Deutschland sei eine reaktionäre Bedrohung für die Weltentwicklung und die Zivilisation.

Grey schrieb am 1. Juni 1898 einen Beitrag für W.T. Steads Review of Reviews zum Thema der angloamerikanischen Wiedervereinigung. (65)Joseph Chamberlain hatte sich vage in dem Sinne geäußert,  dass er ein Bündnis mit Deutschland zu favorisieren schien.  Indem Grey zunächst seine Abneigung gegen deutsche diplomatische Methoden anführte, lehnte er jeden Gedanken an ein solches Bündnis ab. Ja, Grey und Asquith wandten sich dezidiert gegen alle Bemühungen Chamberlains, sich Deutschland anzunähern.  Wie Rosebery standen sie weiterhin zum liberalen Freihandel, während Chamberlain sich in Richtung Protektionismus bewegen wollte, und den Deutschen Zollverein als eine wirkungsvolle Methode zu diesem Ziel schätzte. Als Geschäftsmann hatte Chamberlain Respekt vor den Erfolgen des deutschen Handels und als ein rassistisch orientierter Politiker begrüßte er eine von angelsächsischen und germanischen Völkern dominierte Zukunft. Rosebery, Grey und Asquith teilten weder Chamberlains Erfahrungen noch seine Vision; ihr eigener Rassismus war enger auf die Englisch sprechende Welt begrenzt. Wie Lord Salisbury, sagte auch Grey, er meine nicht, ein Bündnis sei notwendig und er glaube, die deutsche öffentliche Meinung sei sehr anti-britisch.  Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen:

1. Er neigte schon vor dem Burenkrieg zu einer anti-deutschen Einstellung,

2. er folgte Saunders Linie zur deutschen öffentlichen Meinung.

In seinen Memoiren streitet Grey  anti-deutsche Empfindungen vor seiner Amtsübernahme im Dezember 1905 ab, und erklärt,  auch 1892 keine Vorurteile gehabt zu haben. Aber in einem Brief an Goschen vom 26. 10. 1910 (Boveri, p.176) führt er die schlechten Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland auf diese Zeit von 1892-5 zurück,  als er parlamentarischer Unterstaatssekretär war.  Das ist insofern erhellend, als andere Mitglieder des Außenministeriums auf historische Situationen in der Vergangenheit zurückgreifen, um englisch-deutsche Differenzen zu erklären (z.B.  auf den Berliner Kongress von 1878 oder sogar auf die Maßnahmen Friedrichs des Großen 1762!), während Grey solche Details offenbar weitgehend unbekannt sind und er sich ganz auf seine eigenen Erfahrungen beruft.  Er bestand darauf, Deutschland habe sich 1892-5 übel und ausbeuterisch verhalten, obgleich Hermann Lutz in seinem Buch Lord Grey and the World War Greys Argumente wirkungsvoll demontiert, und sogar die Times, insbesondere  Valentin Chirol, hat die britische Regierung für ihr unaufrichtiges Verhalten in dem Streit mit Deutschland um den Kongo 1894 kritisiert,  als Grey unter Rosebery im Außenministerium arbeitete. Die History of the Times  stützt diese Interpretation ebenfalls.

1895, als die Regierung Rosebery stürzte, hinterließ Grey in einem Brief an den liberalen Abgeordneten Sidney Buxton eine umfassende Stellungnahme zu seinen außenpolitischen Ansichten:

            …Tatsache ist, dass der Erfolg der britischen Rasse dem Rest der Welt die Laune verdorben hat und jetzt, wo sie endlich aufgehört haben, sich über europäische Provinzen zu zanken und sich ferneren Gegenden zuzuwenden, stolpern sie da überall über uns.  Daher stammt die allgemeine Tendenz, uns ein Ärgernis zu nennen und sich gegen uns zu verbünden. Ich fürchte, wir werden früher oder später kämpfen müssen, es sei denn, ein europäischer Zankapfel  fällt unter die Mächte dieses Kontinents, aber wir haben noch gute Karten und ich glaube, ein kühner und geschickter  Außenminister könnte Russland  aus der Zahl unserer aktiven Feinde herauslösen, ohne irgendwelche bedeutenden britischen Interessen zu opfern. Ich war den blauen Augen des Mittelmeers noch nie verfallen und wenn Old Sarum (Salisbury) sich zu einer mutigen Strategie  aufraffen könnte, statt dort den Neidhammel zu spielen, würde ich mich freuen… Solange Russland nicht darauf aus ist, Persien zu annektieren, könnte man Raum genug für seine und unsere Bedürfnisse finden, sowohl in Asien wie auch in Europa…

Grey gibt hier weitgehend die Ansichten von Salisbury und Rosebery wieder. Salisbury untersuchte schon 1895 die Möglichkeit, das osmanische Reich zu demontieren, denn er war überzeugt, es sei nicht für die Ewigkeit gebaut, während Deutschland mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung  seine Verbindung zu den Osmanen zu stärken suchte, nicht zuletzt durch das, was einmal eine Bahnverbindung Berlin-Baghdad werden sollte.  Inwieweit Berlin und London schon 1895 einen Blick auf die Ausbeutung der Ölreserven in Mesopotamien geworfen hatten, habe ich noch nicht herausfinden können, aber (66)Admiral Fisher war sich seit langem darüber klar, dass die britische Royal Navy der Zukunft auf einen Betrieb mit Öl umgestellt werden müsste.  Greys Vorstellungen liefen offenbar auf ein Russland an den Dardanellen oder im Besitz von Konstantinopel hinaus (“seine Bedürfnisse in Asien und Europa”), und da Russland mit Frankreich verbündet war, braucht es nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass eine Einigung mit Russland leicht auch zu einer Einigung mit Frankreich führen könnte – und wo bliebe dann Deutschland? Davon spricht Grey nicht. (67)Der “kühne und geschickte Außenminister” sollte einmal Lord Lansdowne werden, der Konservative, dessen politischer Linie der liberale Grey folgte, die er  wohl auch weiter entwickelte, obgleich Lansdowne ein Arrangement mit Russland nicht einmal direkt suchte, sondern nur über die Entente Cordiale mit Frankreich.  Die europäischen “Zankäpfel” sollten natürlich die französischen Ambitionen in Marokko 1905-06 und 1911 sein, die österreichischen und russischen Ambitionen auf dem Balkan 1908-09 und serbische Ambitionen  1912-1914 – zu diesem Zeitpunkt hatte allerdings die britische Führungsspitze schon entschieden, dass Britannien auf jeden Fall würde kämpfen müssen.

Wir sehen also, wie Grey mindestens seit 1895 bis 1901 eine Einigung mit Russland anstrebt.  Frankreich war in Afrika und Siam ein Ärgernis, aber damit konnte man umgehen. (68)Deshalb zögerte die britische Elite auch nicht, Frankreich 1898 in Fashoda in seine Schranken zu weisen, als die Franzosen versuchten in den Sudan vorzurücken.  Aber Niall Ferguson hat sicher Recht, wenn er sagt, England war um ein Einvernehmen mit Russland bemüht, weil es erkannt hatte, dass Russland zu einer unüberwindbaren Bedrohung für britische Interessen in Asien werden würde. Mit Frankreich konnte man zurechtkommen; Russland war eine ganz andere Sache. Trotz seiner Niederlage gegen Japan 1905 würde es zwangläufig aus seinem verborgenen Kraftpotential wiederauferstehen und 1914 sollte es dann sowohl für deutsche Strategen wie für britische Liberale Imperialisten zum Prüfstein werden.  H.C.G. Matthew  weist im Liberal Imperialist auf Greys Betonung des “nationalen Gefühls” hin und sagt:

        was auch immer die Ursache von Greys Feindseligkeit gegenüber den Deutschen gewesen sein mag – die Vernichtung seiner Papiere macht es schwer diese persönliche Entwicklung zurückzuverfolgen -  sie war jedenfalls nicht das Ergebnis umfassender Studien oder weil Druck vom Außenministerium ausgeübt worden wäre… er kam im Dezember 1905 in das Außenministerium,  hegte da aber schon einige Jahre seine Verdächtigungen gegenüber der deutschen Politik, worin er  dann später von seinen Beratern bestärkt wurde. (50).

Hardinge & Co: Grey im Außenministerium 1905 – 1914

Nun muss ich mich diesen Beratern zuwenden, den Männern, die Grey umgaben als er Außenminister war. Grey wurde im Dezember 1905 Außenminister weil Haldane und Asquith  darauf bestanden –  es war Teil einer Abmachung über deren Eintritt in die Campbell-Bannerman-Regierung. (69)Campbell-Bannerman, selbst kein liberaler Imperialist, war darüber nicht glücklich, aber er wusste, wenn er sich der Troika der “limps” entgegenstellen würde, würde er die Liberale Partei spalten.  Was war das nun für ein Außenministerium, in das Grey eintrat?  (70)Der New Course (neue Kurs) in der britischen Außenpolitik  war schon unter dem früheren konservativen Außenminister, Lord Lansdowne, eingeschlagen worden, dem Nachfolger von Lord Salisbury, einem seit Schultagen engen Freund von Rosebery und Außenminister unter Arthur Balfour, Salisburys Neffen. Lansdowne hatte mit der britischen “splendid isolation” Schluss gemacht, indem er Großbritannien 1902 mit Japan verbunden und 1904 das Bündnis mit Frankreich geschmiedet hatte.  (71)All das  entsprach genau der Strategie des Kreises um König Edward VII: Admiral Fisher, Lord Esher und Edwards beiden Lieblingsdiplomaten Sir Francis Bertie, Botschafter in Paris und Sir Charles Hardinge, Botschafter in St. Petersburg,  Männer für deren beruflichen Aufstieg er selbst gesorgt hatte.  Die Abläufe im Außenministerium waren jedoch kaum geändert worden.  Aber das sollte  nun in wichtiger Hinsicht anders werden.  Salisbury, ein sehr verschlossener Außenminister, neigte dazu, die wichtigsten Arbeiten selbst zu übernehmen; seine Mitarbeiter waren wenig mehr als Büroangestellte und eigenständige Äußerungen zu politischen Fragen waren ihnen kaum gestattet. Hardinge, ebenso wie Lansdowne, König Edward und auch Grey, waren überzeugt, Großbritannien und Russland sollten ihre Differenzen beilegen und sich zusammentun. Bertie und der König drängten Lansdowne, Hardinge zum neuen Staatssekretär im Außenministerium zu machen, zur Nr. 2 nach dem Außenminister und eigentlichen Leiter des Außenministeriums. Hardinge übernahm seinen Posten fast gleichzeitig mit Grey nachdem er sicher gestellt hatte, dass sein eigener Schützling, der ausgesprochen deutschfeindliche  Sir Arthur Nicolson, seinen Platz in St. Petersburg einnehmen sollte, und dass ein anderer seiner Schützlinge, der ebenso deutschfeindliche Louis Mallet, Greys Privatsekretär werden würde.

(72)Wer war Hardinge? Er war einer der engsten Freunde von König Edward, ein Mann dessen Interesse der Macht galt: Ich hatte erkannt, dass man im diplomatischen Dienst nur weiter kommt, wenn man sich nicht um materielle Vorteile kümmert, sondern nur nach Macht strebt. (51).   Er war der Mann, mit dem König Edward seine gewagte Reise 1903 heimlich geplant hatte,  die dann so wesentlich zum Besiegeln der Entente Cordiale beitrug, und er war das einzige Mitglied des diplomatischen Corps, das Edward mitnahm, ja, er begleitete den König auf den meisten seiner Reisen. Nicht einmal der Prime Minister Balfour oder Lansdowne, der Außenminister, waren über die Einzelheiten der Reise informiert, auf der Hardinge auch die meisten Reden des Königs schrieb. Margret Boveri schreibt über Hardinge:

        Dieser Mann, der mit allen europäischen und vielen nicht-europäischen Ländern vertraut war (er beherrschte mehrere Sprachen), der seit Jahren mit einer ganzen Reihe führender Diplomaten korrespondierte, der schon als Staatssekretär im Außenministerium (vor St. Petersburg) die Arbeit bis in die kleinsten Details beherrschte und der das Vertrauen des Königs in höchstem Maße besaß, wurde nun Berater eines neuen Außenministers, der England selbst nie verlassen hatte, schlechtes Französisch und überhaupt kein Deutsch sprach, und der sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen -  nie intensiv mit außenpolitischen Angelegenheiten beschäftigt hatte (aber dennoch als Experte der Liberalen Partei galt!). Die beiden waren ein ungleiches Paar was Sachkenntnis und Fähigkeiten anging, aber auch in ihrem Temperament. Einerseits der zurückhaltende, vorsichtige Grey, der es vorzog, sich im Zweifel lieber undeutlich auszudrücken, der lieber abwartete, als nach vorne zu preschen; auf der anderen Seite der Staatssekretär, der die Dinge schnell erfasste und sich schnell ein Urteil bilden konnte,  der fundierte Ansichten über die Machtverhältnisse in Europa hatte, und der auch die Nerven und das Selbstvertrauen besaß, eine konstruktive, vorausschauende Außenpolitik zu gestalten.   Es konnte nicht ausbleiben, dass Hardinge in vieler Hinsicht zum eigentlichen Bildner der Außenpolitik würde – dass er vorwärts drängte, während Grey vor allem moderierte und bremste.

(73)Zusammen mit Eyre Crowe, dem außerordentlich fähigen und zuverlässig deutschfeindlichen Büroleiter im Außenministerium, reformierte Hardinge die Abläufe dort,  was sich vor allem darin ausdrückte, dass es der untergeordneten Belegschaft nun erlaubt war,  Ansichten zu Dokumenten zu äußern, so wie sie hoch gereicht wurden zum Außenminister. Nachdem Hardinge erreicht hatte, dass es unter dem Personal kaum noch jemanden gab, der sich für eine englisch-deutsch Versöhnung ausgesprochen hätte, von einer Zusammenarbeit ganz zu schweigen, hatte dies zur Folge, dass Grey eine Flut von antideutschen Empfehlungen, Warnungen und Ratschlägen erhielt, die kamen von unten über Crowe und seine Untergebenen und gingen dann über Hardinge, Greys Nummer Zwei. Das ging so fort, Woche für Woche, Monate, Jahre, bis Hardinge schließlich nach dem Tod von König Edward 1910 nach Indien ging, um dort Vizekönig zu werden. Bis dahin hatte Grey seine “Lehrjahre”, wenn man so will, als Außenminister hinter sich und brauchte Hardinge nicht länger um die Spur zu halten. Soweit die Rolle von Hardinge von 1906 – 1910. Es hat nie eine so enge Beziehung zwischen einem Außenminister und einem Staatssekretär gegeben, wie die zwischen Grey und Hardinge;  es war eine Beziehung wie zwischen Gleichberechtigten, nicht wie zwischen Vorgesetztem und Untergebenem.   Die Gleichberechtigung der beiden Männer bezog sich darauf, dass der Staatssekretär als dem Außenminister ebenbürtig behandelt wurde; mit Bezug auf Erfahrung und Fähigkeit waren sie allerdings ganz sicher nicht ebenbürtig. Als Hardinge nach Indien ging, schrieb Grey an ihn: Ich bin betrübt, dass unsere gemeinsame Zeit vorüber ist. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was für ein Trost es in all diesen Jahren gewesen ist, jemanden zu haben, der einem ein Freund in der gemeinsamen Arbeit sein konnte.  Hier erleben wir wieder Greys Wunsch nach freundschaftlichen Gefühlen und eine Andeutung auf seine Einsamkeit. Der Beginn von Greys offizieller Beziehung zu Hardinge fiel zusammen mit dem Tod seiner Frau, seine Mutter war 6 Monate vor der Ankunft von Hardinge gestorben. Sowohl Grey wie Hardinge waren in ihren Vierzigern als sie ihre hohen Posten im Außenministerium antraten.

Wie wir gesehen haben, war Grey selbst schon mindestens seit 1899 überzeugt von der Notwendigkeit, die Finger von Deutschland zu lassen und sich mit Frankreich und Russland zusammenzutun. Aber es gab Viele in der Liberalen Partei, im Kabinett und in der Liberalen Presse, die diese Sicht nicht teilten und immer wieder versuchten, Grey von seinen Ansichten abzubringen.  Dabei waren sie sich des Risikos bewußt -  wie  (74)E. D. Morel es ausdrückte:  ich kämpfe mit der Hardinge-Clique um den Besitz von Greys Verstand (51)  und (74)W. T. Stead  forderte in der Review of Reviews 1909 (zu diesem Zeitpunkt hatte sich Stead zum Pazifisten gewandelt, war aber immer noch ein ausgeprägter Imperialist – eine etwas bizarre Kombination!) die Regierung dazu auf zu beweisen, dass Sir Edward Grey Herr in seinem eigenen Haus sei und nicht Sir Charles Hardinge.  Hardinge und seine Gefolgsleute konnten all diese Kritik getrost ignorieren, denn sie waren sich ganz sicher, dass Grey und seine beiden Liberalen Imperialisten im Kabinett, von denen einer, Asquith, inzwischen Prime Minister war, auch weiterhin der Außenpolitik der Konservativen Partei treu bleiben würden.  Sie hielten ihren Chef weiterhin auf Linie,  “geradeaus” und “vernünftig” in der Deutschlandfrage, wie sie das nannten. Nur ein Regierungsbeamter, der parlamentarische Staatssekretär Lord Edmond Fitzmaurice, Lansdownes Bruder, opponierte aktiv gegen den deutschfeindlichen Kurs, aber er drang zu Grey nicht durch und schied 1908 aus dem Außenministerium aus.  Unterdessen schrieben die Inhaber von Schlüsselpositionen in den Botschaften Grey immer wieder Briefe, in denen sie ihn drängten an seinen Verdächtigungen und der Antipathie gegen Deutschland festzuhalten: “halten Sie sich an Frankreich und Russland”. Diese Herren waren überwiegend durch König Edward zu ihren Posten gekommen; die Ernennung von Botschaftern war  noch eines der wenigen verbliebenen ausdrücklich dem Monarchen vorbehaltenen Privilegien. Der einzige führende Diplomat, der immer wieder zu einer englisch-deutschen Verständigung riet, war (75)Sir Frank Lascelles in Berlin, aber bevor Grey dessen Appelle überhaupt zu Gesicht bekam, waren die Berichte immer schon von Eyre Crowe, der im Außenministerium von allen als ‘Experte für Deutschland’ angesehen wurde, kritisch kommentiert. 1908 wurde auch Lascelles ersetzt, und zwar durch (75)Viscount Goschen, der auch dem Kurs von Hardinge folgte.

Britische Historiker reagieren immer argwöhnisch auf alles was irgendwie nach Verschwörung schmeckt und sind schnell dabei es abzutun.  (76)Zara Steiner, die führende Historikerin der Geschichte des Außenministeriums, hat gesagt:

        Die Deutschfeindlichen waren keine formelle Gruppierung. Es gab Unterschiede in ihren Ansichten und die betroffenen Herren standen sich auch ganz unterschiedlich nahe. Der Eindruck einer organisierten Lobby, angeführt von Charles Hardinge, die in eine deutschfeindliche Richtung  Druck auf den Außenminister ausgeübt hätte,  wäre eine Missdeutung der Tatsachen.(53).

Es stimmt schon, dass sie keine formelle Gruppe bildeten, obgleich sie alle im Außenministerium oder im Diplomatischen Dienst arbeiteten. Trotzdem könnte man natürlich auch von irgendeiner Gruppe von Offizieren in der Armee behaupten,  sie gehörten zwar alle der Armee an und teilten ein gemeinsames Ziel, trotzdem gäbe es “unterschiedliche Ansichten und die betroffenen Herren stünden sich unterschiedlich nahe”.  Aber Offiziere in dergleichen Armee, die das gleiche Ziel haben, nämlich den Feind zu schlagen, mögen zwar wütende Auseinandersetzungen über die anzuwendende Taktik führen, oder sich persönlich hassen -  trotzdem bleibt ihre Strategie dieselbe, nämlich den Feind zu schlagen.  Das Gleiche galt für die Deutschfeindlichen im Außenministerium. Vielleicht mochten sie einander nicht alle, vielleicht hatten sie unterschiedliche Vorstellungen vom Umgang mit Deutschland, aber sie alle teilten eine gemeinsame Antipathie oder Angst vor Deutschland. Überdies sollte man sich in Erinnerung rufen, dass das kein Zufall war. Wie ich beschrieben habe, waren sie überwiegend von ihren Vorgesetzten gerade wegen ihres deutschfeindlichen Denkansatzes in der britischen Außenpolitik  ausgewählt worden. Die oben zitierte Ansicht Zara Steiners ist überdies ziemlich naiv, denn die Briten arbeiten nie gerne in formellen Gruppen, die man irgendwie festnageln könnte; sie haben die Dinge immer schon vorzugsweise im Ungefähren gehalten.  Keith Wilson von der Universität Leeds hat trotz seiner ausgezeichneten Studie von 1985, in der er die Bündnispolitik der britischen Regierung entzaubert – The Policy of the Entente -  einen Bericht geschrieben mit dem Titel: The Question of Anti-Germanism at the British Foreign Office Before the First World War (Die Frage der Deutschfeindlichkeit im britischen Außenministerium vor dem Ersten Weltkrieg), in dem er zu der Schlussfolgerung kommt, es habe tatsächlich eine solche Deutschfeindlichkeit nicht gegeben.  Dabei gründet aber seine Argumentation im Wesentlichen darauf,  dass er einfach übernimmt, was Leute wie (77)Hardinge, Crowe und Bertie behaupten,  nämlich dass sie nicht deutschfeindlich, sondern anglophil und pro-britisch eingestellt seien.  Die Antwort darauf geben allerdings die Taten dieser Leute, die eine deutlichere Sprache sprechen, als ihre Worte. Auch hier ist es wieder naiv zu erwarten, dass diese professionellen Diplomaten, die ja auch an  die Nachwelt denken, sich offen zu antideutschen Gefühlen bekennen würden;  in Wirklichkeit würden Männer dieses Schlags ein solches öffentliches Eingeständnis für vulgär halten.  Schon im 16. Jahrhundert hieß es, die Kunst eines Diplomaten zeige sich darin, wie geschickt er im Dienst seiner Regierung zu lügen vermöge. Selbst wenn Crowe zu sehr Gentleman gewesen sein mag, als dass er über seine Gefühle zu Deutschland gelogen hätte, kann man das Gleiche nicht von den eher zweifelhaften Charakteren Bertie, Hardinge, Sir Arthur Nicholson oder Louis Mallet behaupten.

Im Außenministerium wurde Sir Edward Greys Denken – von dem Rosebery einmal gesagt hat, ihm sei nie ein Gedanke gekommen, der ihn von dem Papier abgelenkt hätte, dass er gerade studierte – also in einer bestimmten Richtung gehalten, und zu Hause oder in seinem Club, in dem er die Zeitung, insbesondere die Times las,  las er dann die gleichen Ansichten; und auf den Treffen der Coefficients  hörte er ebenfalls  die gleichen Ansichten.   Greys innere Welt war umgeben und durchsetzt von Gedanken, die alle in eine einzige Richtung drängten: zu der Möglichkeit eines Krieges mit Deutschland hin,  um das, was immer häufiger die Triple Entente genannt wurde, das  Dreierbündnis mit Frankreich und Russland, erhalten zu können.  Wie Hardinge sagte:

        Wir haben mit Deutschland keine anhängigen Fragen mehr, vom Bau der Kriegsschiffe abgesehen, aber unsere gesamte Zukunft in Asien hängt an der Möglichkeit, die besten und freundschaftlichsten Beziehungen mit Russland zu erhalten. Wir können es uns keinesfalls leisten, unser Bündnis mit Russland zu opfern, nicht einmal wenn dies eine Einschränkung der Pläne der Marine bedeuten sollte. (54).

Hardinge hielt also Deutschland für entbehrlich und,  wenn erforderlich, sollte es dem Frieden mit Russland geopfert werden.  Aber Englands Bündnis mit Japan und Russlands anschließende verheerende Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg von 1904 – 5 hatten Ostasien als Gebiet für eine mögliche russische Expansion praktisch blockiert und Russland gezwungen, seine Aufmerksamkeit zurück nach Europa und zu seiner traditionellen Politik der Einmischung auf dem Balkan zu wenden, um unter den slawischen Völkern seine ‘ethnischen und religiösen Brüder zu schützen’ (mit denen – das sollte festgehalten werden – es keinerlei formelle Verträge  oder Bündnisse gab), und um Konstantinopel für den orthodoxen Glauben zurück zu gewinnen.   Russlands Ambitionen in Südosteuropa konnten natürlich nur auf Kosten von Deutschlands Bündnispartner Österreich-Ungarn und Deutschlands Freund, dem Osmanischen Reich, verwirklicht werden. Um diese Ziele zu realisieren, brauchte Russland französisches Kapital und die Unterschützung der französischen Armee. Die Bürokraten im britischen Außenministerium fürchteten Russland derart (insbesondere wegen der angeblichen Bedrohung für Indien), dass sie davon ausgingen, England müsse die Freundschaft Russlands gewinnen, da Russland Frankreich brauchte. Das führte sie dann weiter zu dem Schluss, England brauche Frankreich ebenfalls.   Grey selbst hatte kein persönliches Interesse an Frankreich; weder sprach er gut französisch, noch teilte er die traditionell positiven Empfindungen der Liberalen gegenüber Frankreich als der Heimat radikalen sozialen Umbruchs. Aber er war entschlossen, die Entente Cordiale mit Frankreich um jeden Preis aufrecht zu halten, wegen der Freundschaft  Frankreichs mit Russland.

Grey als Persönlichkeit

Wir haben bisher die Einflüsse auf Grey und sein Umfeld untersucht. Nun müssen wir uns noch mit dem Menschen selbst beschäftigen, und wie er als Außenminister agierte. Kaum war er im Dezember 1905 im Amt, da verkündete er seine Absicht, Lansdownes Politik fortzusetzen – die Politik seiner konservativen Gegner also.  Den Grundsatz der Überparteilichkeit im Sinne einer Kontinuität in der Außenpolitik – das Land kommt vor den Parteien – hatte er im Kopf seit sein Führer, Lord Rosebery, es 1892 erstmals verkündet hatte.  Sir Edward und seine Frau verbrachten Weihnachten 1905 mit Lord Rosebery. Einige Tage später, am 29. Dezember, wurde Grey von einem anderen Mitglied der Coefficients, (78)Col. Repington von der Times – der auch an  ihrem Zustandekommen beteiligt war -  darauf aufmerksam gemacht,  dass geheime Gespräche zwischen britischen und französischen Stabsoffizieren begonnen hätten, die sich mit der Koordination von Operationen gegen Deutschland für den Fall des Krieges in Nordfrankreich und Belgien, beschäftigten. Zur Erinnerung: Das war 1905 – nicht 1914! Die Franzosen, so sagte Repington, wollten wissen, was England tun würde, wenn Deutschland plötzlich Frankreich angriffe. George Clark, Direktor des Commitee of Imperial Defence, bestätigte Grey diese Gespräche bald darauf, aber die beiden vereinbarten, das Kabinett darüber nicht zu informieren.  Es ist auch klar, dass Grey schon an diesem Punkt  die Schlüsselbedeutung Belgiens bewusst gemacht wurde.  Inzwischen hatte König Edward den französischen Botschafter Paul Cambon (20. Dezember 1905) gedrängt, die Weiterführung der militärischen Gespräche mit Sir Edward Grey zu diskutieren, und er bat ihn, sich um die Erlaubnis zu bemühen, alles mit Sir Edward Grey zu  besprechen. Das wird sehr hilfreich sein…. In einem Brief an den Prime Minister vom 9. Januar 1906 erwähnte Grey nichts von den militärischen Gesprächen, und ohne vorher die Erlaubnis des Prime Ministers erhalten zu haben, der sich gerade nicht in London aufhielt, autorisierten Grey und Haldane selbst am 15. Januar 1906 die Fortsetzung der militärischen Gespräche auf offizieller Grundlage. Grey autorisierte auch militärische Gespräche mit den belgischen Streitkräften. Diese wurden in allen Einzelheiten bis Mai fortgeführt und liefen auf eine Gefährdung der Neutralität Belgiens hinaus.  Das Außenministerium schickte seine schriftliche Zustimmung an General Grierson, Direktor des Militärgeheimdienstes,  Gespräche mit Frankreich aufzunehmen

    mit dem Ziel, die notwendigen Informationen über die Art und Weise zu erhalten,  in der militärische Hilfe im Bedarfsfall von uns am besten für Frankreich geleistet werden kann und umgekehrt. (55).

Das ging ganz offensichtlich weit über die Vereinbarung von Fischereirechten in Neufundland und die Beilegung von Grenzstreitigkeiten in Afrika hinaus – aber die Lösung solcher offenen kolonialen Differenzen war der Sinn der Entente 1904.  Und es war dann auch so, dass bei einem inoffiziellen Treffen des Committee of Imperial Defence unter dem Vorsitz von Lord Esher, der grauen Eminenz des Königs, die vier anwesenden Herren zu dem Schluss kamen,  dass die vielerlei  Unterstützung, die man in das Bündnis einbringen könnte, wahrscheinlich viel größer sei, als die Franzosen ahnten.   (79)An dem Wochenende vom 27. – 29. Januar 1906 traf Grey den King und den Prime Minister in Windsor.  Paul Cambon berichtete nach Paris, ihm  sei vertraulich mitgeteilt worden, dass die Drei entschieden hätten, das Kabinett nicht zu informieren und daher meinten, es sei besser Stillschweigen zu bewahren, und die Vorbereitungen diskret fortzuführen, die die beiden Regierungen dann in die Lage versetzen würden, schnell planen und handeln zu können, sollte das notwendig werden.   Die Quelle von Cambons Kenntnissen bleibt  ein Geheimnis, aber im Gegensatz zu einigen anderen Diplomaten, wie etwa dem russischen,  Izvolski, wurde er in diplomatischen Kreisen  nicht zu den notorischen Lügnern gezählt.  Cambon traf Grey am 31. Januar 1906 und es wurde ihm gesagt, falls Deutschland Frankreich wegen der Marokko-Krise, die gerade in Fahrt gekommen war, angreifen sollte,  die Gefühle der britischen Öffentlichkeit derart aufgerührt werden könnten, dass Großbritannien gezwungen wäre, in den Krieg zu ziehen.  Bei dieser Begegnung sagte er Cambon auch, die englische “öffentliche Meinung”  würde einen Krieg um französische Interessen nicht unterstützen, würde aber bereit sein zu kämpfen, um das Bündnis zu retten, wenn Deutschland Frankreich angriffe. Dieser Mann, von dem man so oft behauptet hatte, er liebte den Frieden, und der noch 1914, unmittelbar vor der Katastrophe ausrief: “Ich hasse Krieg! Ich hasse Krieg!”, stellte, kaum einen Monat im Amt,  bereits unter dem Vorwand der  “öffentlichen Meinung” seine Überlegungen zum Krieg an! In den Jahren bis zum 4. August 1914, sollte er sich so  noch viele Male auf die “öffentliche Meinung” berufen. Aber – hat es etwas  zwischen 1906 und 1914 irgendwelche Massendemonstrationen, irgendwelche zivilen Unruhen wegen dieser Angelegenheiten gegeben, die man zum Beispiel mit den turbulenten Kampagnen der Suffragetten, der Bergleute oder der Ulster-Protestanten hätte vergleichen können? Nein!   Mit “öffentlicher Meinung” meinte Grey das, was die britischen regierenden Eliten schon immer darunter verstanden haben – das Geschrei bei den Debatten in der Arena im House of Commons, und die vehement vorgebrachten Ansichten der Herausgeber in der Presse – mit anderen Worten: die “öffentliche Meinung” der führenden Klasse.

Am Tag nachdem Grey zu Cambon davon sprach,  dass England für Frankreich in den Krieg ziehen würde, traf er sich – es war der 1. Februar -  mit dem belgischen Minister Count Lalaing und sagte ihm Ihr Land wurde schon immer als unantastbar betrachtet, als eine Art Heiligtum. Ja, antwortete der Belgier, ein Heiligtum dessen priesterlicher Hüter England ist.  Darauf antwortete Grey:  Das ist auch heute noch unsere Ansicht. (56). An demselben Tag, diesem 1. Februar 1906, aß Grey mit John Morley zu Mittag, der Säule des alten radikal liberalen Establishments und einer der beiden Männer, die 1914  über der Entscheidung Greys, England wegen Belgien in den Krieg zu führen,  vom Kabinett zurücktraten. Später an diesem Tag, kaum einen Monat nachdem er die Zügel der Staatskarosse im Außenministerium in die Hand genommen hatte, starb seine geliebte Frau Dorothy, als sie bei einer Ausfahrt aus der Kutsche geworfen wurde.  Das war nicht das erste private Unglück, dass Sir Edward traf. Die beiden Brüder dieses Naturliebhabers wurden beide von wilden Tieren in Afrika getötet; er selbst verlor ab 1914 allmählich sein  Sehvermögen und 1928 verlor er seine zweite Frau, Pamela Tennant nach nur sechsjähriger Ehe.

Ich könnte jetzt noch viele Fälle von Sir Edwards doppelzüngigem Verhalten zwischen 1906 und 1911 anführen, aber dafür reicht die Zeit nicht.  Das soll nicht heißen, er sei bewusst  Mitglied irgendeiner Verschwörung gewesen, die darauf abzielte, den Krieg herbeizuführen, sondern nur, dass seine Täuschungsmanöver auf seiner eigenen Angst und Halsstarrigkeit gründeten, und bedingt waren durch eine Reihe von Ideen, die ihm über Jahre hinweg regelrecht eingeflößt worden waren. Grey verbarg seine Kenntnis der Gespräche im englisch-französischen Stab bis 1911 absichtlich vor seinen Kabinettskollegen. Irgendwann teilte er sie dann den beiden anderen Mitgliedern der liberal-imperialistischen Troika, Haldane und Asquith, mit,  aber die Drei verschwiegen sie auch  dem Rest des Kabinetts weiterhin. Als Grey dann 1911 schließlich gezwungen war, diese Tatsache bekannt zu geben, gab es einen derartigen Aufruhr, dass er Glück hatte, im Amt bleiben zu können.  Natürlich hatte er Angst gehabt, dass eine diesbezügliche Diskussion im Kabinett die englisch-französischen Beziehungen beschädigen  und die Regierung spalten könnte. Seine Sturheit und der anarchische Zug im Charakter dieses friedliebenden, aufrechten Gentleman führten ihn bei vielen Gelegenheiten dazu, mit Rücktritt zu drohen, sollte er seinen Willen nicht bekommen, denn er wusste, würde er gehen, dann gingen Asquith und Haldane ebenfalls  und damit würde die Regierung stürzen. Zu dem bekanntesten Fall einer solchen nicht gerade subtilen Erpressung kam es auf der verzweifelt angespannten Kabinettssitzung am 2. August 1914, zwei Tage vor der britischen Kriegserklärung. Gestärkt durch ein gerade rechtzeitig gegebenes Signal der Unterstützung aus der Spitze der  oppositionellen Konservativen Partei, (80)Lansdowne, Balfour und Bonar Law, scheint sich Grey durch pure Willenskraft durchgesetzt zu haben, indem er seinen Rücktritt androhte für den Fall, dass das Kabinett eine Politik der Intervention auf der Seite Frankreichs  nicht unterstütze – nicht in erster Linie, um Belgien zu retten, sondern eher um Frankreichs willen – zur Rettung der Entente.  Dann, am 2. August, erreichte Grey die Zustimmung des Kabinetts zur Beauftragung der Royal Navy,  die nördliche Küste Frankreichs gegen einen möglichen deutschen Marineangriff (!) zu verteidigen.   Eigentlich hat er also Deutschland den Krieg erklärt, bevor Deutschland in Belgien einmarschierte! In seinen  Memoiren schreibt der französische Botschafter Paul Cambon:

    Ich war zufrieden, dass das Spiel gewonnen war. Eine Großmacht zieht nicht halbherzig in den Krieg. In dem Moment, in dem sie die Entscheidung trifft,   den Krieg auf See zu führen, hat sie keine andere Wahl, als ihn auch an Land weiterzuführen.

Es bleiben noch zwei weitere Punkte, auf die ich kurz eingehen sollte, bevor ich abschließe. Rudolf Steiner hat, wie viele andere auch, darauf bestanden dass, wenn Grey im Juli 1914 gegenüber Russland klar gemacht hätte, dass Großbritannien nicht wegen Serbien für Russland kämpfen würde, oder wenn er,  anders herum, gegenüber Deutschland klar ausgesprochen hätte, dass Großbritannien sich im Falle einer deutschen Mobilisierung an der Seite von Frankreich und Russland  Deutschland entgegenstellen würde, dann hätten entweder Russland oder Deutschland einen Rückzieher gemacht und ein allgemeiner Krieg hätte verhindert werden können. Grey antwortet seinen Kritikern nach dem Krieg so:

    Die Anspielung, es sei an mir gewesen, Russland zu beeinflussen oder zurückzuhalten, ärgert mich… Hätte ich  Sazonov (den russischen Außenminister) direkt gebeten, nicht zu mobilisieren – ich hätte seine  Antwort gewusst…. Ich habe ganz ehrlich gedacht, weder die russische noch die französische Mobilisierung seien eine übertriebene oder unnötige Vorsichtsmaßnahme gewesen. In Deutschland…stand die größte Armee die die Welt je gesehen hatte (57).

Der Ausdruck “ich hätte seine Antwort gewusst” spricht Bände. Hardinge sagte dazu:

    Wenn  Russland im Fall des Krieges um eine Zusicherung zur materiellen Unterstützung gebeten hätte und diese verweigert worden wäre, wäre Russland fast zwangsläufig wegen seiner militärischen Schwäche genötigt gewesen,  sich mit den Mittelmächten zu einigen und die eigene Haltung gegenüber deren Zielen zu ändern. (58).

(81)Hardinges Anhänger und auserkorener Nachfolger als ständiger Staatssekretär, Sir Arthur Nicholson, schrieb an den Botschafter in Russland, Sir George Buchanan, im April 1914:

    Mich verfolgt die gleiche Angst wie Sie – dass nämlich Russland genug von uns haben könnte und ein Abkommen mit Deutschland schließt. Die Russen… könnten die Briten in Indien ernsthaft ins Wanken bringen. Das ist mir ein solcher Alptraum, dass ich zu fast jedem Preis bereit wäre, Russlands Freundschaft zu erhalten. (59).  

“…zu fast jedem Preis” -  dieses riskante Spiel sollte im folgenden Krieg zur fast völligen Zerstörung führen. In seinem Jahresbericht für 1913, der im März 1914 abgegeben wurde, schrieb Buchanan an Grey:

    Wir dürfen uns nicht blind machen für die Tatsache (Nb gerade zu dieser Zeit erfuhr Grey, dass er erblinden würde. Wusste Buchanan davon? TMB) dass, wenn wir Russlands Freunde bleiben sollen, wir auch bereit sein müssen, ihm unsere materielle und moralische Unterstützung in jeglichem Konflikt zu gewähren, in den es mit Europa verwickelt wird.

Derartige Argumente hörte Grey seit Jahren beständig von seinen Beratern. Im Grunde hieß es immer wieder, dass, wenn man mit Russland zu keiner friedlichen Vereinbarung komme, Russland sich verhalten würde wie Großbritannien von 1904 – 07, nämlich, den politischen Kurs wechseln und sich auf die Seite seiner jahrzehntelangen Gegner stellen.  Diese Vermutung scheint Unkenntnis der grundlegenden Interessen zu verraten, die  viele Mitglieder der russischen Eliten seit Jahrhunderten, nicht Jahrzehnten, immer wieder bestätigt haben: Dass das Heilige Russland Konstantinopel, den Geburtsort der Orthodoxie, von den ungläubigen Türken zurückholen,  und mit fester Hand über die slawischen und orthodoxen Völker Europas herrschen solle.  Die Tatsache, dass Grey “(Sasonovs) Antwort kenne”, entschuldigt nicht, dass er sich nicht bemüht hat, Russland zurückzuhalten, denn dass die Alternative sehr wohl ein Krieg werden könnte, der ganz Europa erfasst, muss er gewusst haben.  Leider war  Grey allerdings nie besonders daran interessiert, militärische Realitäten verstehen zu lernen; er hat sich nie die Mühe gemacht, so sagte er selbst, sich mit den konkreten militärischen Einzelheiten der englisch-französischen Gespräche im Stab zwischen 1906 und 1911 bekannt zu machen.  Hätte er Ahnung von solchen Realitäten gehabt, wäre ihm klar gewesen, dass jeder Generalstab in Europa  die Mobilisierung einer Großmacht augenblicklich als Auslöser für einen Krieg betrachtet hätte.   Schon 1894 hatten die Generäle Boisdeffre und Obruchev, die das geheime Militärabkommen zum französisch-russischen Bündnis in dem Jahr für ihre jeweiligen Länder  ausgehandelt und unterzeichnet hatten, beide damals vereinbart, dass Mobilisierung Krieg bedeute.  Für jeden Generalstab in Europa war das auch im Juli 1914 immer noch die übliche Auffassung, aber im Moment der äußersten Krise schien Sir Edward Grey, der alles über das  Fliegenfischen wusste, was es irgendwie zu wissen gab, von dieser entscheidenden und beängstigenden militärischen Tatsache keine Ahnung zu haben.

August 1914

(82)Der letzte Akt der Täuschung in der tragischen Geschichte des Sir Edward Grey kam dann am 3. August 1914, als er seine folgenschwere Rede im House of Commons hielt, in der er Englands Lage erklärte und die Abgeordneten vorbereitete auf den – so hatte er für sich entschieden -  nun unvermeidlichen Krieg.  Grey sagte den versammelten Parlamentariern, er wünsche, dass sie sich der Krise von den Gesichtspunkten “britischer Interessen, britischer Ehre und britischer Verpflichtungen” aus näherten.  Er begann mit Großbritanniens Verpflichtungen gegenüber Frankreich, beschrieb die Entwicklung der Beziehungen, und als er zum Schwachpunkt seiner Argumentation kam – dem Umfang britischer Verpflichtungen gegenüber Frankreich – appellierte er sehr geschickt an das Gewissen jedes Einzelnen, wenn er sagte:

    wie weit geht nun die Verpflichtung in dieser Freundschaft… da soll jeder Mann nun sein eigenes Herz und Gefühl befragen und daraus selbst diese Verpflichtung ableiten. Ich lege sie für mich so aus, wie sie meinem Gefühl entspricht, aber ich möchte niemanden zu mehr drängen, als ihm die eigenen Gefühlen diesen Verpflichtungen gegenüber diktieren.

G. P. Gooch, der erste Herausgeber der offiziellen britischen Kriegsdokumente kommentiert:

    aus seiner ganzen Rede sprach die Überzeugung, wir wären für immer entehrt, würden wir Frankreich im Stich lassen. Die Versicherungen, wir seien ungebunden, waren zwar formell korrekt, aber substantiell nicht richtig…

Lloyd George erklärte am 7. August 1918, wir hätten im August 1914 “einen Vertrag gehabt mit Frankreich”, aber später korrigierte er sich und sagte: “nach meinem Urteil handelte es sich um eine Ehrenpflicht”. Grey schrieb 10 Jahre später in seinen Memoiren, wenn Großbritannien nicht in den Krieg eingetreten wäre,

    wären wir isoliert gewesen; wir hätten keinen Freund in der Welt gehabt; niemand hätte  von uns irgendetwas erhofft oder gefürchtet, oder geglaubt, unsere Freundschaft sei überhaupt etwas wert. Wir wären unglaubwürdig gewesen… es wäre uns eine unrühmliche Rolle zugeschrieben worden… Man hätte uns gehasst.

“Für Grey war also der Krieg im Grunde eine “Sache der Ehre”: die rechtliche Verpflichtung  gegenüber Belgien, und mehr noch, die moralische Verpflichtung gegenüber Frankreich”.  So schreibt Niall Ferguson in seinem kürzlich erschienenen Buch The Pity of War (60).  In seiner Rede – wohl die folgenschwerste die je ein englischer Minister vor dem Parlament gehalten hat – ging es Grey natürlich um das, was er “die Ehrenpflicht und unsere Interessen in Bezug auf den Belgischen Vertrag” von 1939  nannte und er ging ausführlich ein auf die Ansicht, die  Gladstone 1870 über Großbritanniens bindende Verpflichtungen aus diesem Vertrag ausgeführt hatte, aber er versäumte zu erwähnen, dass  die britische Regierung 1887 unter Lord Salisbury beschlossen hatte, dass die Bestimmungen des Vertrages die Parteien NICHT dazu verpflichten würden, Belgien individuellen Beistand zu leisten, noch würden sie die Parteien verpflichten, unter allen  Umständen Belgien zu helfen, und dass die britische Regierung erst 1905 zu demselben Schluss gekommen war.  Wenn er auf Frankreich zu sprechen kam, bügelte Grey immer über das Fehlen einer formellen Verpflichtung hinweg und appellierte an Gefühl und Gewissen, wenn er aber von Belgien sprach, dann bestand Grey darauf, Großbritannien sei durch eine rechtliche Verpflichtung gebunden, die man bei aller Ehre nicht verleugnen könne. Das tat er weil er entschieden hatte, dass Großbritannien für Frankreich kämpfen sollte.

Ehre – ein aristokratischer, mittelalterlicher Moralbegriff, eine “zuverlässige” Moralvorstellung für Imperialisten alten Zuschnitts. In drei Vorträgen über Imperialismus, die Rudolf Steiner 1920 für Besucher aus England in Dornach, Schweiz, gehalten hat, skizzierte er drei Etappen des Imperialismus, die dieser in den letzten Jahrtausenden durchlaufen hat. Er beschrieb, wie nach der ersten, der orientalischen Phase des Imperialismus, in der der König als ein wirklicher Gott auf Erden angesehen wurde, und nach der zweiten, mittelalterlichen Phase des europäischen Imperialismus, in der der König Gott nur noch symbolisierte, wir jetzt in der dritten Epoche leben, der des ökonomischen Imperialismus, die unvermeidlich zur Epoche “des leeren Wortes” werden musste,  denn wenn egozentrische ökonomische Realitäten die einzigen sind, die eigentlich die Politik noch bewegen, werden diese tatsächlichen Motive aus Verlegenheit versteckt, maskiert und in leere Phrasen gekleidet, die als tote Hüllen bloß noch die Werte vergangener Zeitalter preisen.  

Ein ausgezeichnetes Beispiel hiervon hat man in den leeren Worten vor sich, die  (83)Valentin Chirol, Chefredakteur für Auslandsnachrichten der Times, in dieser Zeitung am 6. August 1914 äußerte. Chirol schrieb, um die Lenden der maßgeblichen Kreise für Armageddon zu rüsten, und mit einem Blick zurück auf Ereignisse vor genau 100 Jahren erklärte er, (83)das britische Volk sei im Begriff das kollektive Schwert für “die gute alte Sache” zu ziehen:

    …wieder einmal – in den Worten, die König William auf seine Standarte schreiben ließ – wird es die “Freiheit Europas” bewahren. Es ist die Sache, für die Wellington an der iberischen Halbinsel kämpfte und Nelson bei Trafalgar; die Sache die ihren krönenden Höhepunkt  auf den Feldern von Waterloo sah. Es ist die Sache in der Olivers Ironsides  und deren französische Kameraden die beste Infanterie Spaniens schlugen, und für die Drake und Howard of Effingham die Armada besiegten – es ist die Sache der Schwachen gegen die Starken, der kleinen Völker gegen ihre maßlosen Nachbarn, des Rechts gegen brutale Kraft, des Commonwealth von Europa gegen die Herrschaft des Schwertes.

Hier sehen wir, wie Chirol kunstvoll mittelalterliche Motive militärischer und imperialistischer Aristokraten – Ehre, Kampf, Ruhm -  mit denen der Liberalen des 19. Jahrhunderts verwebt: (84)die Freiheiten Europas verteidigen, die Kleinen und Schwachen vor den brutalen Kerlen schützen und er  setzt  – ganz unbegründet – die Fortsetzung einer  idealistischen britischen Außenpolitik voraus.  Kein Wort über moderne wirtschaftliche Realitäten.

Greys Kabinett-Kollege Lewis Harcourt (Kolonialsekretär) zeigte 1914, dass er sich über seine eigenen Motive im Klaren war.   Am 5. August, nur einen Tag vor Chirols Ruf an die Waffen und einen Tag nach der Kriegserklärung an Deutschland, erklärte Harcourt,  in einem Brief an einen Freund:

    Ich habe nicht aus  Verpflichtung gegenüber irgendeinem Vertrag oder der Ehre gehandelt… denn es gab nichts dergleichen. Es gab drei übermächtige britische Interessen zu vertreten, die ich nicht aufgeben konnte:

1.    Eine deutsche Flotte darf unter unserer Neutralität nicht die Nordsee und den englischen Kanal besetzen;

2.    sie darf nicht den nordwestlichen Teil Frankreichs einnehmen und besetzen, der vor unseren Küsten liegt;

3.    sie darf die grundlegende Unabhängigkeit Belgiens nicht verletzen und dann Antwerpen besetzen, was für uns einer dauernden Bedrohung gleichkäme.(61)

Hier steht nun unverhohlen das alte Argument des Überlebens vor uns – des Überlebens des Stärkeren – das Dogma der frühen viktorianischen Kapitalisten, Kaufleute und Mühlenbesitzer – die meisten von ihnen waren überzeugte Whigs und Liberale. Großbritannien würde als Schlachtschiff jedes andere Schiff aus dem Wasser blasen, dass es wagt, es mit ihm aufzunehmen, insbesondere ein solches, das es wagt, auf der Nordsee zu segeln und dessen Mannschaft nicht Englisch spricht.

Schlussfolgerung

(85)Rudolf Steiner betonte in seinen drei Vorträgen über Imperialismus 1920, dass das Potential  für eine wirklich neue Kultur gerade in den englisch sprechenden Gesellschaften groß sei, weil paradoxerweise dort im Zeitalter des wirtschaftlichen Imperialismus der Gebrauch des sinnentleerten Wortes besonders tiefe Löcher geschlagen hat. In dieser Kultur der Leere könnte neue geistige Substanz entwickelt werden, behauptete er, aber damit das passieren könne, müsse zunächst etwas anderes eintreten; die englisch sprechenden Völker müssten SCHAM empfinden – Scham darüber, dass sie eine Kultur geschaffen haben, die zum einzigen Ziel die Befriedigung bloßer körperlicher Bedürfnisse hat, etwas wozu auch Tiere fähig sind ohne das Privileg der persönlichen Intelligenz zu besitzen.  Wenn sie diese Scham zu empfinden fähig würden,  würden die englisch sprechenden Völker dahin kommen, die Wahrheit des Wortes Christi zu erkennen: “Mein Reich ist nicht von dieser Welt”, und würden sich dann bemühen, ihre materielle, rein wirtschaftlich orientierte Kultur zu ergänzen mit wirklich neuer spiritueller Substanz. Haben wir in unseren Englisch sprechenden Gesellschaften wirklich angefangen, diese Scham zu empfinden? Wenigstens in unserer politischen Kultur sind die Anzeichen dafür noch zu gering. Clinton, Blair und Bush prahlen weiterhin mit der Einzigartigkeit und Bedeutung des anglo-amerikanischen Beitrags zur Weltkultur, dieser englisch sprechenden “freien Welt”.  Ich jedenfalls glaube, dass uns die Entwicklung eines historischen Gewissens im Sinne der Frage: wie sind wir dahin gekommen, wo wir jetzt sind? – helfen könnte, dieses notwendige Gefühl der Scham zu fördern, das dann Anregung für ein neues moralisches Verständnis und für eine spirituelle Reformation der Gesellschaft sein kann.

Übersetzung: Gabriele Savier

ANMERKUNGEN

1. Rudolf Steiner, Das Karma der Unwahrhaftigkeit Bd. I und II, (im Folgenden KOU genannt)
2. Christopher Hitchens, Blood Class and Nostalgia, (London: Chatto & Windus, 1990) p.243-50
3.  D. Gillard in K.M. Wilson ed., British Foreign. Secretaries and British Foreign Policy, (London:Croom Helm, 1987)  p.132
4. Ron Chernow, The House of Morgan, (New York: Touchstone, 1990)
5.  Carroll Quigley, The Anglo-American Establishment – From Rhodes to Cliveden, (New York: Books In Focus, 1981)
6.  C. Dilke, quoted in Philip Magnus, King Edward The Seventh, (Harmondsworth: Penguin Books,1967) p.214
7. Corelli Barnett, The Collapse of British Power (London: Eyre Methuen, 1972) p.137 ff
8. Rosebery, zitiert nach  KOU Vol 1 p 80; Robert Rhodes James, Rosebery (London: Phoenix, 1995),  p.284
9. On Dee, see for example Benjamin Woolley, The Queen’s Conjuror (London: : HarperCollins, 2001)
10. Kenneth Young, Arthur James Balfour, (London: Bell, 1963)
11. Young, Balfour
12. Young, p. 175
13. Young, p. 175
14. Young, p. 278
15. Young, p. 278
16. Young, p. 279
17. Young, p. 280
18. Young, p. 281
19. Young, p. 281
20. Young, p. 282
21. Young, p. 282
22. Young, p. 283
23. Young, p. 283
24. Chernow, p. 430
25. Young, p. 283
26. Young, p. 284
27. Young, p. 385
28. RW Davis, Disraeli,  p.138
29. John E. Kendle, The Round Table Movement and Imperial Union, (Toronto: Univ of Toronto 1974) pp. 7-8
30. WT Stead, The Americanisation of the World, (London: Review of Review, 1902) p. 152
31.Speeches 1896 pp. 56-7
32. 11.12.1916 Dornach KOU Vol. 1
33. Robert Rhodes James, Rosebery , ( London: Phoenix, 1995) p.419
34. Charles Seymour ed., The Intimate Papers of Colonel House Vol I, (Boston: Houghton Mifflin, 1926) p.249
35. Seymour ed., Vol. I p.228
36. Anita Leslie, The Marlborough Set, (New York: Doubleday & Co, 1973) p.86
37. KOU Vol. 1
38. KOU Vol. 1
39. Keith Robbins, Sir Edward Grey – A Biography of Lord  Grey of Falloden (London: Cassell, 1971), p.106
40. Margaret Boveri, Sir Edward Grey und das Foreign Office, p.183-4
41. Niall Ferguson, The Pity of War, p.59
42. Ferguson, p.59
43. Hermann Lutz, Lord Grey and the World War  p72, from Sir Roger Casement ‘s Collected Writings
44. Oron J. Hale, Publicity and Diplomacy, (1940)
45. History of The Times 1884-1912 (London: Printing House Square, 1947), p.308
46. HG Wells, Experiment in Autobiography, p.652
47. Bertrand Russell, Autobiography, Vol 1, p.230
48. Keith Wilson, p. 172 ff
49. H.G. Wells, p.652
50. H.C.G. Matthew, The Liberal Imperialists,
51. Busch, Briton Cooper Busch, Hardinge of Penshurst – A Study in the Old Diplomacy, (Hamden, Conn:  Archon, 1980) p.96
52. H.C.G. Matthew, The Liberal Imperialists
53. Z.Steiner, FOFP p.103-4
54. Z.Steiner, FOFP, p.95
55. S.R.Williamson, The Politics of Grand Strategy: Britain and France Prepare for War, 1904-1914, (Harvard University Press, Cambridge MA, 1969).  p. 86
56. S.R.Williamson,  p.86
57. D.J. Goodspeed, The German Wars, (London: Orbis, 1977) p. 132
58.  Hardinge to Nicolson, quoted  in Zara Steiner, FOFP, p. 95
59. Zara Steiner, FOFP p.137
60. Ferguson, p. 168-9

61. Ferguson, pp.163-4

                                                               © Terry Boardman

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